Impact statt Likes
Welche Kriterien sind aber tatsächlich aussagekräftig? Woran lässt sich erkennen, ob die Kommunikation auch kognitiv verarbeitet wurde?
Die Antwort auf diese Frage muss berücksichtigen, dass sich das Nutzerverhalten von Online-Medien sehr dynamisch weiterentwickelt. Noch vor einigen Jahren galt Sharing als eines der wichtigsten Maßstäbe. Wer einen Beitrag teilt oder weiterleitet, multipliziert seine Reichweite. Findet den Beitrag wichtig genug, um ihn mit seinen FreundInnen oder AbonnentInnen zu teilen. Durch das Teilen bezieht man Stellung zu einem Beitrag, bewertet ihn und verrät auch etwas über sich selbst. Hohe Sharezahlen bestehen heute aber häufig zu einem viel höheren Teil als vor noch einigen Jahren aus automatischen Shares von Bots oder Fakeprofilen.
In der Politik besteht zudem ein hoher Prozentsatz der realen Personen, die Postings teilen, aus den eigenen FunktionärInnen und MitarbeiterInnen. Damit wird eine hohe Reichweite lediglich in den eigenen Reihen erzielt.
Rückzug in kleine Räume
Immer mehr Menschen ziehen sich aus den Social-Media-Kanälen in kleinere Räume zurück. Man kommuniziert nicht mehr so gern in die große, undifferenzierte Öffentlichkeit hinein, sondern bleibt in einer definierten Gruppe, zum Beispiel auf WhatsApp.
Eine der größten Herausforderungen für politische Online-Kommunikation besteht daher darin, aus der eigenen Filterblase hinauszukommen und neue Zielgruppen zu erreichen.
Inhalt und Betroffenheit statt Blickfang
Carline Mohr fordert eine stärkere Konzentration auf die Inhalte der Kommunikation: „Einer der unsinnigsten Sätze im Zusammenhang mit Online-Kommunikation lautet: Man muss die Leute in drei Sekunden fesseln. Das ist Bullshit. Die Menschen sind im Gegenteil mehr als übersättigt von Newsfeeds mit blinkenden, schreienden Ankündigungen. Das Überverkaufen von Inhalten führt nur zu Ärger.“
Was tut dieses Posting für mich?
Die drei-Sekunden-Regel muss modifiziert werden: NutzerInnen müssen so schnell wie möglich verstehen: „Was tut der jeweilige Inhalt für mich“? Werde ich informiert oder unterhalten, soll ich etwas tun oder erwartet mich ein Service? Botschaften oder Slogans allein reichen nicht. Parteien und PolitikerInnen werden gewählt, um Probleme zu lösen, um Veränderungen zu bewirken – möglicherweise auch, um ungewollte Veränderungen zu verhindern.
Carline Mohr präsentiert eine vierstufige Checkliste der Anforderungen, die an gelungene politische Online-Kommunikation gestellt werden. „Wir müssen Leute erreichen, nicht nur Botschaften senden“, sagt Carline Mohr. Als fünfte Aufgabe kommt noch eine Dienstleistungsfunktion hinzu – Informationen und Argumente zum Abrufen.
- Listen: PolitikerInnen und Parteien müssen zuhören. Die potenziellen Wählerinnen und Wähler wollen mit ihren Anliegen wahrgenommen werden.
- Explain: Unaufgeregtes Erklären der Zusammenhänge schafft Vertrauen. Die Balance zwischen echtem Erklären und herablassenden Belehren ist oft schwierig, ebenso muss die Grenze zwischen verstehendem Erklären und Herumreden oder Ausreden klar erkennbar sein.
- Feel: Empathie ist gefragt. Man muss Menschen berühren, auf einer emotionalen Ebene überzeugen. Das gelingt häufig am besten über Personen und oder persönliche Geschichten.
- Do: Im Idealfall mündet eine Kommunikation in eine Aktivität. Am Ende steht daher immer eine Aufforderung: „Nimm teil!“, „Stimme ab!“, „Rede mit anderen darüber!“, „Spende!“
- Service: Ein Inhalt kann auch einen ganz konkreten Service für die BürgerInnen und Bürger enthalten. „Hier bekommst du die 5 wichtigsten Argumente, um jemandem zu erklären, dass die AfD keine bürgerliche Partei ist.“ – „Auf dieser Seite haben wir die wichtigsten Telefonnummern gesammelt.“
Als Listen-Format startete die SPD eine Mini-Kampagne, bei der die UserInnen aufgefordert wurden, online Fragen zu stellen. Die erste dieser Art richtete sich an Kulturschaffende, die während des November Lockdowns um ihre Existenz fürchteten. Carline Mohr spielte dem SPD-Finanzminister Olaf Scholz die Audionachrichten vor, las den offenen Brief von Helge Schneider und ließ Scholz darauf antworten. Beim Endprodukt entschied sich Mohr für einen gewagten Titel, der mit dem typischen Framing politischer Kommunikation bricht, bei dem sich Parteien immer darum bemühen, positive Botschaften zu senden. Mohr dagegen setzte den Titel durch: „Wir fühlen uns ungerecht behandelt, Olaf Scholz.“ So wollte sie deutlich machen: „Wir hören euch wirklich zu und wir beantworten auch die unangenehmen Fragen.“
Das Format findet inzwischen regelmäßig statt, unter anderem mit Familienministerin Franziska Giffey oder mit dem Gesundheitsökonomen und SPD-Abgeordneten Karl Lauterbach.
Dialog aufnehmen
Anders als klassische Kommunikation ist Online-Kommunikation keine Einbahnstraße, sondern ein Dialog. Diese Funktion, die das eigentliche Wesen der sozialen Medien darstellt, muss entsprechend genutzt werden. Denn während Likes (und mittlerweile auch Shares) im Hinblick auf die Wirksamkeit nur begrenzten Wert besitzen, kann man mit einer gezielten Dialogstrategie beispielweise bei Facebook ganz direkt neue Zielgruppen erreichen. Carline Mohr: „Wir probieren gerade aus, was passiert, wenn Olaf Scholz sich bei Facebook in die öffentliche Debatte einmischt und unter öffentlichen Postings von Medienseiten einfach in die Kommentare einsteigt. Bisher haben wir viele positive Erfahrungen damit gemacht.“
Die Anhänger nicht vergessen
Das „Listen“-Format und das systematische Kommentieren von fremden Postings sind darauf angelegt, „die Bubble zu durchbrechen“ und neue Gruppen anzusprechen. Darüber darf aber nicht vergessen werden, dass auch die eigenen Leute, die FunktionärInnen, die StammwählerInnen und sonstige der SPD emotional nahestehende Personen Kommunikationsbedarf haben.
Eine wichtige Funktion der klassischen Parteimedien früherer Zeiten bestand darin, diesen Leuten Argumente und Fakten bereitzustellen, mit denen sie die Position ihrer Partei vertreten oder verteidigen konnten. Auch Online-Medien bieten viele Möglichkeiten, die eigenen Leute zu Botschafterinnen und Botschaftern der eigenen Inhalte zu machen. Das kann eine Explainer-Kachel oder ein Hintergrundtext auf der Webseite sein, ein Q&A bei Instagram, ein Mitmachaktion über alle Plattformen hinweg, eine BürgerInnensprechstunde bei YouTube. „Man muss versuchen, den eigenen Leuten Werkzeug in die Hand zu geben, mit dem sie für die eigene Partei eintreten können. Egal, ob in einer Online-Diskussion am Wahlstand oder an der Theke.“
Soziale und traditionelle Medien
Soziale Medien können großen Tageszeitungen oder TV-Stationen nicht immer auf gleicher Augenhöhe gegenübertreten. Wenn ein Politiker oder eine Politikerin in den Medien kritisiert werden, wenn ein Boulevardblatt eine Kampagne reitet – dann können die eigenen sozialen Media-Kanäle nicht wirklich dagegenhalten. Dennoch sind sie eine Hilfe.
Zum einen werden die eigenen Leute erreicht und haben nicht das Gefühl, dass sie alleingelassen werden, wenn die Partei unter Beschuss steht. Zum anderen werden die Meinungsmacher abseits ihres eigenen Mediums erreicht. Diese Funktion kommt vor allem Twitter zu, das von JournalistInnen stark genutzt wird.