„Die Leute erreichen, nicht Botschaften senden“

Autor: Wal­ter Osz­to­vics | 13. April 2021

Carline Mohr ist Kommunikationsexpertin. Sie leitet seit 2019 den Newsroom des SPD-Parteivorstands, ist also wesentlich für die Online-Kommunikation der SPD-Bundespartei verantwortlich. Davor war sie in mehreren leitenden Funktionen im Bereich digitaler Kommunikation tätig. So verantwortete sie das Social Media Team der Bild-Zeitung, war anschließend bei Spiegel Online als Chefin vom Dienst für das Audience Development zuständig. Von 2017 bis 2019 arbeitete sie als Head of Platform Strategy für die Content-Agentur Looping Group. Bei einem Online-Meeting mit dem Arbeitskreis Digital Public Affairs sprach Carline Mohr über die Herausforderungen von digitaler Kommunikation für politische Parteien – vor allem über deren Messbarkeit und die Möglichkeiten der Erfolgskontrolle.

Dis­clai­mer: Car­line Mohr hat in ihrem Vor­trag gegen­dert, in dem sie bei­de Geschlech­ter-For­men ver­wen­det hat (Bür­ge­rin­nen und Bür­ger) oder das Binnen‑I mit­ge­spro­chen hat (Bürger:innen). Wir haben das in unse­rem Blog­bei­trag übernommen. 

„Poli­ti­sche Online-Kom­mu­ni­ka­ti­on war für mich sofort etwas Beson­de­res, weil man erst­mal nie­man­dem etwas ver­kau­fen muss. Man muss Men­schen nicht auf eine Home­page locken, damit sie dort einen Klick hin­ter­las­sen für die Wer­be­kun­dIn­nen. Man muss sie nicht einen Shop lei­ten, damit sie dort Pro­duk­te kaufen“.

Mit die­ser Abgren­zung zur kom­mer­zi­el­len Online-Kom­mu­ni­ka­ti­on defi­niert Car­line Mohr im Talk mit dem Arbeits­kreis Digi­tal Public Affairs die spe­zi­fi­schen Auf­ga­ben, die sich beim Ver­mit­teln von Poli­tik im Netz stel­len: „Die Auf­ga­be von poli­ti­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on ist es, Men­schen zu über­zeu­gen, ihr Ver­trau­en zu gewin­nen. Poli­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on muss aus Use­rIn­nen Inter­es­sier­te machen und aus Inter­es­sier­ten Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler. Ein Klick oder Like kann nicht der ein­zi­ge Maß­stab dafür sein, ob das gelun­gen ist. Auf­merk­sam­keit ist wirk­lich nicht alles“. 

Rei­nes Reich­wei­ten-Den­ken hält Mohr für trü­ge­risch. Vor allem auf Face­book muss man die Reich­wei­te mit Vor­sicht betrach­ten. „Wich­ti­ger ist doch die Fra­ge: Haben wir es aus der eige­nen Bubble geschafft? Haben Men­schen einen Arti­kel wirk­lich ange­se­hen? Haben sie bei etwas mit­ge­macht? Haben wir eine neue Ziel­grup­pe erreicht? Hohe Reich­wei­ten sagen erst­mal wenig dar­über aus, ob das eigent­li­che Ziel der Kom­mu­ni­ka­ti­on erreicht wur­de – ob also die Bot­schaft ange­kom­men ist.“

Impact statt Likes

Wel­che Kri­te­ri­en sind aber tat­säch­lich aus­sa­ge­kräf­tig? Wor­an lässt sich erken­nen, ob die Kom­mu­ni­ka­ti­on auch kogni­tiv ver­ar­bei­tet wurde?

Die Ant­wort auf die­se Fra­ge muss berück­sich­ti­gen, dass sich das Nut­zer­ver­hal­ten von Online-Medi­en sehr dyna­misch wei­ter­ent­wi­ckelt. Noch vor eini­gen Jah­ren galt Sha­ring als eines der wich­tigs­ten Maß­stä­be. Wer einen Bei­trag teilt oder wei­ter­lei­tet, mul­ti­pli­ziert sei­ne Reich­wei­te. Fin­det den Bei­trag wich­tig genug, um ihn mit sei­nen Freun­dIn­nen oder Abon­nen­tIn­nen zu tei­len. Durch das Tei­len bezieht man Stel­lung zu einem Bei­trag, bewer­tet ihn und ver­rät auch etwas über sich selbst. Hohe Share­zah­len bestehen heu­te aber häu­fig zu einem viel höhe­ren Teil als vor noch eini­gen Jah­ren aus auto­ma­ti­schen Shares von Bots oder Fakeprofilen.

In der Poli­tik besteht zudem ein hoher Pro­zent­satz der rea­len Per­so­nen, die Pos­tings tei­len, aus den eige­nen Funk­tio­nä­rIn­nen und Mit­ar­bei­te­rIn­nen. Damit wird eine hohe Reich­wei­te ledig­lich in den eige­nen Rei­hen erzielt.

Rückzug in kleine Räume

Immer mehr Men­schen zie­hen sich aus den Social-Media-Kanä­len in klei­ne­re Räu­me zurück. Man kom­mu­ni­ziert nicht mehr so gern in die gro­ße, undif­fe­ren­zier­te Öffent­lich­keit hin­ein, son­dern bleibt in einer defi­nier­ten Grup­pe, zum Bei­spiel auf WhatsApp.

Eine der größ­ten Her­aus­for­de­run­gen für poli­ti­sche Online-Kom­mu­ni­ka­ti­on besteht daher dar­in, aus der eige­nen Fil­ter­bla­se hin­aus­zu­kom­men und neue Ziel­grup­pen zu erreichen.

Inhalt und Betroffenheit statt Blickfang

Car­line Mohr for­dert eine stär­ke­re Kon­zen­tra­ti­on auf die Inhal­te der Kom­mu­ni­ka­ti­on: „Einer der unsin­nigs­ten Sät­ze im Zusam­men­hang mit Online-Kom­mu­ni­ka­ti­on lau­tet: Man muss die Leu­te in drei Sekun­den fes­seln. Das ist Bull­shit. Die Men­schen sind im Gegen­teil mehr als über­sät­tigt von News­feeds mit blin­ken­den, schrei­en­den Ankün­di­gun­gen. Das Über­ver­kau­fen von Inhal­ten führt nur zu Ärger.“

Was tut dieses Posting für mich?

Die drei-Sekun­den-Regel muss modi­fi­ziert wer­den: Nut­ze­rIn­nen müs­sen so schnell wie mög­lich ver­ste­hen: „Was tut der jewei­li­ge Inhalt für mich“? Wer­de ich infor­miert oder unter­hal­ten, soll ich etwas tun oder erwar­tet mich ein Ser­vice? Bot­schaf­ten oder Slo­gans allein rei­chen nicht. Par­tei­en und Poli­ti­ke­rIn­nen wer­den gewählt, um Pro­ble­me zu lösen, um Ver­än­de­run­gen zu bewir­ken – mög­li­cher­wei­se auch, um unge­woll­te Ver­än­de­run­gen zu verhindern.

Car­line Mohr prä­sen­tiert eine vier­stu­fi­ge Check­lis­te der Anfor­de­run­gen, die an gelun­ge­ne poli­ti­sche Online-Kom­mu­ni­ka­ti­on gestellt wer­den. „Wir müs­sen Leu­te errei­chen, nicht nur Bot­schaf­ten sen­den“, sagt Car­line Mohr. Als fünf­te Auf­ga­be kommt noch eine Dienst­leis­tungs­funk­ti­on hin­zu – Infor­ma­tio­nen und Argu­men­te zum Abrufen.

  • Lis­ten: Poli­ti­ke­rIn­nen und Par­tei­en müs­sen zuhö­ren. Die poten­zi­el­len Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler wol­len mit ihren Anlie­gen wahr­ge­nom­men werden.
  • Explain: Unauf­ge­reg­tes Erklä­ren der Zusam­men­hän­ge schafft Ver­trau­en. Die Balan­ce zwi­schen ech­tem Erklä­ren und her­ab­las­sen­den Beleh­ren ist oft schwie­rig, eben­so muss die Gren­ze zwi­schen ver­ste­hen­dem Erklä­ren und Her­um­re­den oder Aus­re­den klar erkenn­bar sein.
  • Feel: Empa­thie ist gefragt.  Man muss Men­schen berüh­ren, auf einer emo­tio­na­len Ebe­ne über­zeu­gen. Das gelingt häu­fig am bes­ten über Per­so­nen und oder per­sön­li­che Geschichten.
  • Do: Im Ide­al­fall mün­det eine Kom­mu­ni­ka­ti­on in eine Akti­vi­tät. Am Ende steht daher immer eine Auf­for­de­rung: „Nimm teil!“, „Stim­me ab!“, „Rede mit ande­ren dar­über!“, „Spen­de!“
  • Ser­vice: Ein Inhalt kann auch einen ganz kon­kre­ten Ser­vice für die Bür­ge­rIn­nen und Bür­ger ent­hal­ten. „Hier bekommst du die 5 wich­tigs­ten Argu­men­te, um jeman­dem zu erklä­ren, dass die AfD kei­ne bür­ger­li­che Par­tei ist.“ – „Auf die­ser Sei­te haben wir die wich­tigs­ten Tele­fon­num­mern gesammelt.“

Als Lis­ten-For­mat star­te­te die SPD eine Mini-Kam­pa­gne, bei der die Use­rIn­nen auf­ge­for­dert wur­den, online Fra­gen zu stel­len. Die ers­te die­ser Art rich­te­te sich an Kul­tur­schaf­fen­de, die wäh­rend des Novem­ber Lock­downs um ihre Exis­tenz fürch­te­ten. Car­line Mohr spiel­te dem SPD-Finanz­mi­nis­ter Olaf Scholz die Audio­nach­rich­ten vor, las den offe­nen Brief von Hel­ge Schnei­der und ließ Scholz dar­auf ant­wor­ten. Beim End­pro­dukt ent­schied sich Mohr für einen gewag­ten Titel, der mit dem typi­schen Framing poli­ti­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on bricht, bei dem sich Par­tei­en immer dar­um bemü­hen, posi­ti­ve Bot­schaf­ten zu sen­den. Mohr dage­gen setz­te den Titel durch: „Wir füh­len uns unge­recht behan­delt, Olaf Scholz.“ So woll­te sie deut­lich machen: „Wir hören euch wirk­lich zu und wir beant­wor­ten auch die unan­ge­neh­men Fragen.“

Das For­mat fin­det inzwi­schen regel­mä­ßig statt, unter ande­rem mit Fami­li­en­mi­nis­te­rin Fran­zis­ka Gif­fey oder mit dem Gesund­heits­öko­no­men und SPD-Abge­ord­ne­ten Karl Lauterbach.

Dialog aufnehmen

Anders als klas­si­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on ist Online-Kom­mu­ni­ka­ti­on kei­ne Ein­bahn­stra­ße, son­dern ein Dia­log. Die­se Funk­ti­on, die das eigent­li­che Wesen der sozia­len Medi­en dar­stellt, muss ent­spre­chend genutzt wer­den. Denn wäh­rend Likes (und mitt­ler­wei­le auch Shares) im Hin­blick auf die Wirk­sam­keit nur begrenz­ten Wert besit­zen, kann man mit einer geziel­ten Dia­log­stra­te­gie bei­spiel­wei­se bei Face­book ganz direkt neue Ziel­grup­pen errei­chen. Car­line Mohr: „Wir pro­bie­ren gera­de aus, was pas­siert, wenn Olaf Scholz sich bei Face­book in die öffent­li­che Debat­te ein­mischt und unter öffent­li­chen Pos­tings von Medi­en­sei­ten ein­fach in die Kom­men­ta­re ein­steigt. Bis­her haben wir vie­le posi­ti­ve Erfah­run­gen damit gemacht.“

Die Anhänger nicht vergessen

Das „Listen“-Format und das sys­te­ma­ti­sche Kom­men­tie­ren von frem­den Pos­tings sind dar­auf ange­legt, „die Bubble zu durch­bre­chen“ und neue Grup­pen anzu­spre­chen. Dar­über darf aber nicht ver­ges­sen wer­den, dass auch die eige­nen Leu­te, die Funk­tio­nä­rIn­nen, die Stamm­wäh­le­rIn­nen und sons­ti­ge der SPD emo­tio­nal nahe­ste­hen­de Per­so­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­darf haben.

Eine wich­ti­ge Funk­ti­on der klas­si­schen Par­tei­me­di­en frü­he­rer Zei­ten bestand dar­in, die­sen Leu­ten Argu­men­te und Fak­ten bereit­zu­stel­len, mit denen sie die Posi­ti­on ihrer Par­tei ver­tre­ten oder ver­tei­di­gen konn­ten. Auch Online-Medi­en bie­ten vie­le Mög­lich­kei­ten, die eige­nen Leu­te zu Bot­schaf­te­rin­nen und Bot­schaf­tern der eige­nen Inhal­te zu machen. Das kann eine Explai­ner-Kachel oder ein Hin­ter­grund­text auf der Web­sei­te sein, ein Q&A bei Insta­gram, ein Mit­mach­ak­ti­on über alle Platt­for­men hin­weg, eine Bür­ge­rIn­nen­sprech­stun­de bei You­Tube. „Man muss ver­su­chen, den eige­nen Leu­ten Werk­zeug in die Hand zu geben, mit dem sie für die eige­ne Par­tei ein­tre­ten kön­nen. Egal, ob in einer Online-Dis­kus­si­on am Wahl­stand oder an der Theke.“

Soziale und traditionelle Medien

Sozia­le Medi­en kön­nen gro­ßen Tages­zei­tun­gen oder TV-Sta­tio­nen nicht immer auf glei­cher Augen­hö­he gegen­über­tre­ten. Wenn ein Poli­ti­ker oder eine Poli­ti­ke­rin in den Medi­en kri­ti­siert wer­den, wenn ein Bou­le­vard­blatt eine Kam­pa­gne rei­tet – dann kön­nen die eige­nen sozia­len Media-Kanä­le nicht wirk­lich dage­gen­hal­ten. Den­noch sind sie eine Hilfe.

Zum einen wer­den die eige­nen Leu­te erreicht und haben nicht das Gefühl, dass sie allein­ge­las­sen wer­den, wenn die Par­tei unter Beschuss steht. Zum ande­ren wer­den die Mei­nungs­ma­cher abseits ihres eige­nen Medi­ums erreicht. Die­se Funk­ti­on kommt vor allem Twit­ter zu, das von Jour­na­lis­tIn­nen stark genutzt wird.