Clubhouse ist tot, aber Social Audio-Streaming lebt.

Autor: Joa­chim Kurz | 06. August 2021

In den letzten Wochen hörte man wieder einmal etwas von Clubhouse. Clubhouse? Ja genau. Die Social Audio-App, die im Jänner 2021 einen kleinen Hype in der polit-medialen Bubble auslöste, nur um wenige Wochen später schon wieder totgesagt zu werden.

Zum einen sorg­ten die Mel­dun­gen über ein mög­li­ches Daten­leck für Auf­se­hen. Zum ande­ren ver­kün­de­te Club­house eini­ge tech­ni­sche Neue­run­gen. Die App ist nun end­lich auch für Android-Gerä­te ver­füg­bar und Invi­tes nicht mehr nötig. Die­se anfäng­lich ver­knap­pen­de Exklu­si­vi­tät ist also vor­bei. Zudem sind nun Direkt­nach­rich­ten mög­lich und an einer Pay­ment-Funk­ti­on wird gear­bei­tet. Und auch Twit­ter (Spaces), Face­book (Live Audio Rooms) und Spo­ti­fy (Green­room) brach­ten zuletzt ihre eige­nen Social Audio-Ange­bo­te an den Start.

Aber abseits davon stellt sich die Fra­ge: Inter­es­sie­ren Social Audio-Apps über­haupt noch irgend­je­man­den? Und war der Hype nur ein eigen­ar­ti­ges Zusam­men­wir­ken von Lock­down-Mad­ness, blin­dem Tech­no­lo­gie-Wahn und einer Polit-Bubble auf der Suche nach Ori­en­tie­rung im Umgang mit neu­en Tools?

Wunderwaffe Clubhouse? Eine Bubble und ihr Hype.

Im schier end­lo­sen Lock­down-Win­ter waren per­sön­li­che Auf­ein­an­der­tref­fen schon seit Mona­ten nur mehr ein­ge­schränkt und seit Wochen gar nicht mehr mög­lich. Der poli­ti­sche Betrieb fand nur noch digi­tal statt. Die Sub­sti­tu­ti­on durch sozia­le Medi­en wie Twit­ter oder Face­book war und ist für die meis­ten unbe­frie­di­gend und mach­te die Sehn­sucht nach etwas Ech­tem, Bedeu­tungs­vol­len und Rea­len nur grö­ßer – auch durch die immer gif­ti­ge­re Stim­mung rund um COVID-The­men auf die­sen Netzwerken.

Neben die­ser Art Lock­down-Müdig­keit brach­ten ins­be­son­de­re zwei Fak­to­ren gera­den den polit-media­len Seis­mo­gra­fen zum Aus­schla­gen. Zum einen waren es schlicht die hoch­ka­rä­ti­gen und unge­zwun­ge­nen Gesprächs­run­den zu Beginn. Chris­ti­an Lin­der war einer der ers­ten bekann­ten Poli­ti­ker auf Club­house. Und der „Can­dy-Crush-Skan­dal“ durch Bodo Rame­low weck­te ver­bor­ge­ne Sehn­süch­te bei Journalist:innen und Berater:innen: nah dran zu sein und unge­fil­tert Infor­ma­tio­nen zu bekom­men. War­um soll­te das nicht auch in die öster­rei­chi­sche Polit-Sze­ne über­schwap­pen? Club­house könn­te der Inno­va­ti­ons­sprung sein, den vie­le seit der Ein­füh­rung des Pres­se­foy­ers durch Bun­des­kanz­ler Bru­no Krei­sky ersehnen.

Zum ande­ren stürz­te sich der polit-media­le Betrieb des­halb so sehr auf Club­house, weil nie­mand die Gele­gen­heit – oder zumin­dest die Chan­ce einer Mög­lich­keit – ver­pas­sen woll­te, früh bei einem womög­lich prä­gen­den sozia­len Medi­um dabei zu sein. Das Bei­spiel von Armin Wolf auf Twit­ter zeigt, wel­che Mög­lich­kei­ten im frü­hen Erken­nen und Beset­zen sol­cher Tools lie­gen.1

Kurz­um:  Der Fan­ta­sie der Bubble war eigent­lich kei­ne Gren­ze gesetzt. Der Hype war losgetreten. 

Clubhouse ist tot. Aber Social Audio-Streaming ist einen Blick wert 

Nut­zungs­zah­len sind für ein­zel­ne Län­der nicht bekannt. Club­house selbst spricht von zehn Mil­lio­nen User:innen bzw. einer hal­ben Mil­li­on „Räu­men“ pro Tag (welt­weit) und einer Unter­neh­mens­be­wer­tung von  4 Mil­li­ar­den Dol­lar. So oder so – medi­al ist es in Öster­reich still gewor­den um die Social Audio-App. Und auch in per­sön­li­chen Gesprä­chen ist Club­house kein The­ma mehr. Club­house, da war doch was? 

Wenn man sich aber vom Namen Club­house etwas löst, erkennt man durch­aus Poten­zi­al von Social Audio-Strea­ming für Public Affairs (und die poli­ti­sche Kommunikation).

Zum einen erwei­tert allein schon die tech­nisch nie­der­schwel­li­ge Mög­lich­keit des Live Audio-Strea­mings den Instru­men­ten­kas­ten. Die klas­si­sche Pho­ne-In-Sen­dung im Radio funk­tio­niert noch immer. War­um soll­te das auf einer Han­dy-App nicht funk­tio­nie­ren – mit einer ande­ren Ziel­grup­pe, auf mobi­len End­ge­rä­ten und weni­ger Bar­rie­ren? Goog­le Han­gouts oder Face­book-Live-Events waren schon in ver­gan­ge­nen Wahl­kam­pa­gnen im Ein­satz. So wäre es doch auch loh­nens­wert, statt dem 20. Bier­zelt­be­such oder der gefühlt 500. TV-Debat­te im Stu­dio ein­mal eine Hör-Dis­kus­si­on direkt mit den eige­nen Wahlkämpfer:innen oder Wähler:innen zu füh­ren? Eine Audio-Dis­kus­si­on nach einer Begut­ach­tungs­pha­se eines Geset­zes­vor­schlag wür­de die Schwel­le für den/die Otto-Normalbürger:innen sen­ken, sich mit der Fül­le an Vor­schlä­gen aus­ein­an­der­zu­set­zen. Die Debat­ten-Kul­tur wür­de belebt werden.

Ande­rer­seits eröff­net es neue Mög­lich­kei­ten im Com­mu­ni­ty-Buil­ding. Erfolg­rei­che Pod­casts (oder ande­re rei­ne Sen­dungs-For­ma­te) haben die Not­wen­dig­keit erkannt, ihre Hörer:innen ein­zu­be­zie­hen. Meist pas­siert das durch beglei­ten­de Social Media-Inter­ak­ti­on, die aber zusätz­lich betrie­ben wer­den muss. Durch die Audio-Ange­bo­te auf gro­ßen Social Media Platt­for­men kann man sogar eine bestehen­de Com­mu­ni­ty ein­bin­den. Im Con­su­mer-Mar­ke­ting wer­den Gewinn­spie­le, Foto-Chal­lenges oder Pro­dukt­fra­gen ein­ge­setzt, um Kund:innenbindung zu erzeu­gen. In der poli­ti­schen Arbeit (in allen sei­nen Dimen­sio­nen) geht es um noch mehr. Es geht um Ver­trau­en. Die­ses wird noch immer am bes­ten durch den per­sön­li­chen Aus­tausch auf­ge­baut. Sich stimm­lich zu hören, schafft Nähe und Verbindlichkeit.

Nicht das Tool, sondern der strategische Einsatz

Sind also Social Audio-Apps ein abso­lu­tes Muss für Public Affairs und Poli­tik? Nein, natür­lich nicht. Wie jedes ande­re digi­ta­le Tool sind sie kein Wun­der­werk­zeug für alles. Vie­le Fra­gen sind noch unge­klärt (z.B. wel­cher Grad an Mode­ra­ti­on ist not­wen­dig und sinn­voll?) und die nütz­li­chen Ein­satz­wei­sen müs­sen sich erst eta­blie­ren. Aber eine gute Public Affairs-Stra­te­gie hat Social Audio-Strea­ming ab sofort im Instru­men­ten­kas­ten und kann es ein­set­zen. Genau das ist das Wesen von Digi­tal Public Affairs: digi­ta­le Tools sind kein Selbst­zweck, son­dern erwei­tern den stra­te­gi­schen Handlungsspielraum. 

Social Audio-Strea­ming hat also Poten­zi­al, auch wenn es nicht der Name Club­house sein sollte.

1 Der ORF-Anchor­man war früh auf die­ser neu­en Platt­form und trat aktiv in den Dia­log mit einer damals noch sehr über­schau­ba­ren, aber mei­nungs­bil­den­den Com­mu­ni­ty.  Seit Jah­ren ist er mit 492.000 Fol­lower der öster­rei­chi­sche “Influen­cer” auf Twit­ter (sie­he OTS Twit­ter­list).

Foto­credits: Mar­co Verch / Crea­tiv Com­mons Lizenz


Joa­chim Kurz ist Asso­cia­te Direc­tor bei 365 Sher­pas und lei­tet den Arbeits­kreis Digi­tal Public Affairs in der ÖPAV.