Informiert sein, Mitreden, Interessen geltend machen – aber alles digital
Autor: Walter Osztovics | 10.12.2021
Demokratische Mitwirkung erfordert Information. Diese Information ist eine Bringschuld der Politik und zugleich eine wichtige Voraussetzung, damit Partizipation, Interessenvertretung und schließlich Lobbying fair und transparent möglich werden. Digitale Tools können in diesem Feld eine wichtige Rolle spielen und auf vielfältige Weise dazu beitragen, dass ein informierter und zugleich breiter Diskurs um politische Fragen möglich ist.
Zu diesem Ergebnis kam eine Diskussionsrunde auf der Plattform Stakedate zum Thema „Information & Demokratie – die Chancen der Digitalisierung von Public Affairs“. Stakedate-Mitgründer Theo Koch diskutierte mit den Public-Affairs-Experten Andreas Kovar (Kovar & Partners) und Lisa Henhofer (Wien Energie) sowie mit der Nationalratsabgeordneten Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne).
Showcase 1: Stakedate
Theo Koch hat gemeinsam mit Partnern die Plattform Stakedate unter anderem deshalb gegründet, weil sich während des ersten Corona-Lockdowns gezeigt hatte, dass in einer Zeit der weit fortgeschrittenen Digitalisierung ausgerechnet die Politik das Internet noch nicht wirklich als Ort des demokratischen Diskurses entdeckt hat.
„Wir sahen den Bedarf nach einer Plattform, auf der sich Stakeholder über ihre Anliegen, ihre Positionen und Forderungen zu anstehenden politischen Vorhaben austauschen können.“
Anfangs war Stakedate ein Videocall mit angeschlossenen Speed-Date-Network-Funktion. Es sollte ein Tool sein, wo im Lockdown trotz Kontaktverbots und Social Distancing die Public Affairs Arbeit in gewissem Ausmaß weitergeführt werden konnte.
„Es hat sich aber schnell gezeigt, dass online wesentlich mehr möglich ist, als nur eine Gesprächssituation virtuell abzubilden.“
Sehr schnell kamen Funktionen hinzu, mit denen Dokumente hochgeladen werden konnten, also auch nachhaltiger und vertiefter Diskurs über das eigentliche Gespräch hinaus organisiert werden konnte. In der nächsten Entwicklungsstufe wurde Stakedate zu einer Plattform, die nach politischen Themen organisiert ist. Welche Themen vertreten sind, hängt einerseits von den Mitgliedern der Plattform ab, die jederzeit einen Diskurs starten können, zum anderen greift das Stakedate-Team auch selbst aktuelle Themen auf und lädt dazu sein, sich zu ihnen zu äußern. Derzeit sind etwa Themen wie „Bodenversiegelung“, „Lebensmittelwerbung an Kinder“, „Gentechnisch veränderte Pflanzen“ oder „Lieferkettengesetz“ vertreten.
User können sich für beliebig viele Themen registrieren und werden dann über die weitere Entwicklung ihrer Themen auf Stakedate regelmäßig informiert. Und selbstverständlich können sie auch selbst Dokumente hochladen.
Das Internet führt zwangsläufig zu einem höheren Maß Transparenz, da alle Teilnehmer namentlich angemeldet sein müssen. Stakedate hat diese Transparenz zu einem Prinzip gemacht: Alle User, die sich für ein bestimmtes Thema registriert haben, werden für alle anderen offengelegt. Wer an einem Diskursprozess teilnimmt, weiß daher, wer noch aller aktiv oder passiv involviert ist.
Auf Stakedate kann der Dialog mit der Politik sehr früh einsetzen, also nicht erst, wenn ein Ministerialentwurf eines Gesetzes vorliegt. Über diesen Kanal können auch Gruppen, die nicht Teil des politischen Establishments sind, Agenda Setting betreiben und Themen originär in die politische Diskussion einbringen.
Anfangs, erzählte Koch, herrschte Skepsis bei den Stakeholdern, man war sich nicht sicher, ob Stakedate einer politischen Richtung zugeordnet werden kann. Erst als alle politischen Parteien auf der Plattform vertreten waren, war der Damm gebrochen. Und für die Zukunft hofft Koch:
„Demokratische Politik soll ein Wettbewerb der Ideen sein, aber für diesen Wettbewerb braucht es faire Ausgangsbedingungen, was den Kampf um die Aufmerksamkeit betrifft.“
Showcase 2: e‑Comitee
Andreas Kovar präsentierte ein völlig anders konzipiertes Online-Diskussions-Tool, nämlich e‑Comitee. Auf e‑Comitee können Texte hochgeladen und online diskutiert werden. Das kann in einer geschlossenen Gruppe von Eingeladenen geschehen, oder aber offen für jedermann und jedefrau. Dank einer Reihe von Features ist es sehr einfach möglich, Teile eines hochgeladenen Textes gezielt zu kommentieren oder zu ergänzen – die Kommentare stehen dann ihrerseits wieder allgemein zur Diskussion.
e‑Comitee erleichtert es vor allem auch, am Ende einer Diskussionsphase die Ergebnisse zusammenzufassen und auszuwerten und eignet sich daher sehr gut für deliberative Prozesse oder für Arbeitsgruppen und Ausschüsse, die am Ende einen Bericht über ihre Arbeit abliefern wollen.
Diese Form der E‑Partizipation hat eine Reihe von Vorteilen. So kann eine große Gruppe von Personen tatsächlich einbezogen werden, die Qualität der Beteiligung steigt. Online werden Raum und Zeit in mehrfacher Hinsicht aufgehoben. Man kann von überallher jederzeit Beiträge hochladen oder kommentieren. Man hat keine Zeitbeschränkung, wogegen in realen Diskussionen die Redezeit stets beschränkt ist, es kommen auch nicht immer alle zu Wort.
„Anders als in Live-Meetings kann ich meinen Beitrag in aller Ruhe erstellen, nachdenken, überarbeiten, redigieren. Ich lade ihn erst hoch, wenn ich sicher bin, dass ich meinen Input gut rübergebracht habe. Ich kann meinen Beitrag auch nachträglich ergänzen, wenn mir noch etwas einfällt, während bei Live-Meetings die Ideen, die mir beim Weggehen draußen im Stiegenhaus kommen, verloren sind.“
In der Praxis hat sich gezeigt, dass die größten Stärken von e‑Comitee in der ersten Phase und in der Schlussphase von längeren Online-Diskussionsprozessen liegen. Die Phase der ersten Ideenfindung verläuft wesentlich produktiver, als das in Meetings der Fall wäre, wenn über eine oder zwei Wochen hinweg Beiträge gesammelt werden, die von Anfang an für alle sichtbar sind und wo sich jeder inspirieren kann.
Am Ende wiederum, wenn es darum geht, die große Zahl an Beiträgen und Kommentaren auszuwerten, machen es die Tools von E‑Comitee ebenfalls deutlich leichter, Kategorien zu bilden und Themen zusammenzufassen.
„Dazwischen sind allerdings sehr wohl Real Live Meetings sinnvoll, denn der persönliche Austausch ist natürlich intensiver, wenn man sich trifft. Eine Kombination von Online- und Offline ist also die effektivste Form der Partizipation.“
Ähnlich wie Stakedate entstand auch e‑Comitee einerseits aus den Anforderungen der praktischen PA-Arbeit, andererseits aber aus dem Wunsch, digitale Instrumente zur Verbesserung der demokratischen Möglichkeiten zu nutzen. Vor allem bei der direkten Partizipation gibt es in Österreich starke Defizite, befand Kovar. Zudem haben die Entwicklungen der letzten Jahre – Stichworte Rechtspopulismus, Fake News, Spaltung der Gesellschaft – gezeigt, dass am Erhalt der demokratischen Kultur aktiv gearbeitet werden muss:
„Jahrelang haben wir diskutiert, wie wir die Demokratie weiterentwickeln können. Heute reden wir stattdessen über die Verteidigung der Demokratie.“
Showcase 3: Digital Public Affairs Wien Energie
Für Lisa Henhofer ist Transparenz eines der Schlüsselkriterien für einen gelingenden demokratischen Diskurs. Henhofer betreut unter anderem jene Website von Wien Energie, wo das Unternehmen über seine politischen Anliegen spricht und auch den Dialog mit den Stakeholdern sucht.
„Wir haben 2019 die erste digitale Public Affairs Plattform in Österreich gestartet und sie seither sehr dynamisch weiterentwickelt.“
Warum das Unternehmen den Schritt wagte, offen im Internet über seine politischen Positionen und die von ihm verfolgten Interessen zu kommunizieren, begründet Henhofer mit drei Motiven:
- Die Digitalisierung verändert die Form der politischen Kommunikation.
- Es gibt ein steigendes Informationsbedürfnis in der Bevölkerung, was die Interessenpolitik und die politischen Positionen von Unternehmen betrifft.
- Die Klimadebatte ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Energieunternehmen sind hier besonders gefordert und müssen zu Fragen der Klimapolitik Stellung nehmen.
Inzwischen enthält die Public Affairs Webseite von Wien Energie eine Fülle von Papieren zu den großen Veränderungen in den Bereichen Wärme, Strom oder EU-Klimapolitik. Alle Themen sind mit Personen verbunden, die auch als Ansprechpersonen fungieren und ihre Kontaktdaten auf der Webseite bekanntgeben.
„Wir nutzen die Plattform, um zu zeigen, wo wir stehen und welche politischen Rahmenbedingungen wir einfordern, damit wir diese Ziele erreichen können. Es geht uns darüber hinaus aber auch darum, ein neues Image für Interessenvertretung aufzubauen. Lobbying hat keinen guten Ruf, aber wie wir zeigen, kann Lobbying auch offen, transparent, für alle sichtbar im Internet stattfinden. Lobbying kann dialogorientiert und sachlich sein.“
Die Sicht der Politik
Ewa Ernst-Dziedzic hat vor einigen Jahren den Wiener Streitclub gegründet, weil ihr Debattenkultur generell ein Anliegen ist und sie eine offene Diskussionskultur in Österreich vermisst. Als Abgeordnete der Grünen im Parlament ist sie politische Insiderin, steht also auf Seiten derer, die politische Beschlüsse fassen oder mitentscheiden. Sie ist daher überzeugt:
„Wir müssen sowohl die formalen Möglichkeiten der Partizipation als auch die tatsächlich gelebte Praxis weiterentwickeln.“
Denn der Anspruch der Bevölkerung wächst, zu wissen, warum die gewählten Vertreter bestimmte Entscheidungen treffen:
„Wir Mandatare und Mandatarinnen sind stärker gefordert, zu erklären, was wir eigentlich tun und wofür wir uns tatsächlich einsetzen, nicht nur in Wahlreden. Partizipation kann nur dann erfolgreich sein, wenn die Bürger:innen erleben, dass ihre Ideen und ihr Einsatz auch ernstgenommen werden.“
Aus der Sicht der Politik sind Formate wie Stakedate und e‑Comitee deshalb zu begrüßen, weil es ihnen gelingt, „den Ton und die Sachlichkeit von Debatten richtig zu treffen, was ja die Social Media nicht schaffen“. Es muss ein Anliegen der Politik sein, die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen, um möglichst viele Menschen zu erreichen, meinte Ewa Ernst-Dziedzic:
„Politik darf nicht etwas sein, was im Hohen Haus hinter staubigen Wänden stattfindet, aber nichts mehr mit der digitalen Lebensrealität der Menschen zu tun hat.“