“Die Honeymoon-Phase ist vorbei” – Politik und Tech im Wandel

Autorin: Chris­ti­na Trapl | 14. April 2021

Mit hipper Schiebermütze, legerer Kleidung und Airpods im Ohr nimmt Ansgar Baums vor seinem Bildschirm Platz. Hinter ihm platzt das Bücherregal aus allen Nähten. Ein freundliches “Hallo zusammen” und es geht los. Wer bei Ansgar Baums nach einem klassischen Rollenbild eines Lobbyisten und Politikberaters sucht, ist fehl am Platz. Der Berliner ist unkonventionell und schwimmt gerne gegen den Strom. In Deutschland zählt Ansgar Baums mittlerweile zu den führenden Politik-Experten für China sowie den Digitalisierungs-Bereich. Aktuell leitet Baums die politische Kommunikation des Video-Giganten Zoom. Im virtuellen Talk mit dem Digital Public Affairs-Arbeitskreis des ÖPAV stellt er sein neuestes Corona-Projekt vor, den GR Blog und beschreibt die kriselnde Beziehung zwischen Politik und Techszene.

Digitalwirtschaft – vom Heilsbringer zum politischen Sorgenkind

Ans­gar Baums ist Digi­tal-Lob­by­ist der ers­ten Stun­de. Von SAP über BITKOM, den Bran­chen­ver­band der deut­schen Infor­ma­ti­ons- und Tele­kom-Bran­che bis hin zum Tech­no­lo­gie­kon­zern HP und neu­er­dings auch Zoom – die Band­brei­te sei­ner Arbeit­ge­ber aus der Tech-Bran­che ist beein­dru­ckend. Dabei hat sich laut Ans­gar Baums das Ver­hält­nis zwi­schen Tech und Poli­tik in den letz­ten Jah­ren fun­da­men­tal gewan­delt. Seit den 90ern galt die IT-Bran­che als eine Art Heils­brin­ger zur Lösung aller mög­li­chen gesell­schaft­li­chen Pro­ble­me („man fügt ein­fach das Wort „smart“ hin­zu und geht davon aus, dass sich poli­ti­sche Kon­flik­te „weg-codie­ren“ las­sen“). Kein Wun­der, dass die poli­ti­sche Unter­stüt­zung zunächst groß war – und regu­la­to­ri­sche Frei­räu­me wie das Platt­form-Haf­tungs­pri­vi­leg entstanden.

Die Stimmung kippt

“Die Bezie­hung von IT und Poli­tik wird zuneh­mend schwie­ri­ger”, so Ans­gar Baums. Die anfäng­li­che Eupho­rie der Poli­tik um die digi­ta­le Bran­che schwin­det. “Der ‚Honey­moon’ zwi­schen Poli­tik und Tech ist vor­bei”, erklärt der stu­dier­te Poli­tik- und Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler, „denn die Digi­ta­li­sie­rung hat aus Sicht der Poli­tik gesell­schaft­lich zu viel zu schnell ver­än­dert.“ Skep­sis und Sor­ge im Hin­blick auf uner­wünsch­te Neben­wir­kun­gen der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on mach­ten sich zuneh­mend breit. In die­sem Sin­ne erle­ben poli­ti­sche Ent­schei­der gera­de zu viel Dis­rup­ti­on, wäh­rend die IT-Bran­che über „zu wenig, zu lang­sam“ klagt. Die gespal­te­ne Hal­tung der Poli­tik gegen­über der Digi­ta­li­sie­rung wird in den kom­men­den Jah­ren wei­ter anhal­ten und die Arbeit der Govern­ment Rela­ti­ons prä­gen”, sagt Baums.

Dar­über hin­aus sei­en die Digi­ta­li­sie­rung und die IT-Wirt­schaft mitt­ler­wei­le zu wich­tig gewor­den, um von geo­po­li­ti­scher Ein­fluss­nah­me ver­schont zu blei­ben. Der Han­dels­kon­flikt zwi­schen Chi­na und den USA sei nur der Beginn einer „Infu­si­on“ von Geo­po­li­tik in die Digi­tal­wirt­schaft. Mit­tel­fris­tig müs­se man davon aus­ge­hen, dass die IT der Geo­po­li­tik fol­gen wird und „bipo­lar“ struk­tu­riert sei: Einer west­li­chen IT-Land­schaft stün­de dann ein inkom­pa­ti­bles chi­ne­si­sches IT-Sys­tem gegen­über, das auf eige­nen Chip-Archi­tek­tu­ren beru­hen wer­de. „Aus IT-Her­stel­ler-Sicht ist Geo­po­li­tik vor allem eine Fra­ge zukünf­ti­ger Markt­ein­tritts­bar­rie­ren: Wo kann ich über­haupt noch verkaufen?“

Das Ziel von GR: Geopolitische Komplexität verarbeiten

Um die­se kom­ple­xen Zusam­men­hän­ge zu ver­ste­hen, legt der ehe­ma­li­ge Ana­lyst des deut­schen Geheim­diens­tes Ans­gar Baums gro­ßen Wert auf pro­fun­de Ana­ly­se-Fähig­kei­ten in GR-Teams. “Govern­ment Rela­ti­ons-Teams müs­sen kom­ple­xe glo­ba­le Ver­än­de­rungs­pro­zes­se in Ent­schei­dungs­si­tua­tio­nen für das Unter­neh­men über­set­zen. Im bes­ten Fall beant­wor­ten GR-Teams die Fra­ge des CEOs „Was hat die­se gan­ze (Geo-)politik mit mir zu tun?“ stich­hal­tig. Dabei muss die Ana­ly­se glo­bal ange­legt sein”, erklärt der Ber­li­ner. „Natio­na­le Geset­ze sind wich­tig – aber die ste­hen halt in einem glo­ba­len Kon­text geo­po­li­ti­scher Ver­än­de­run­gen. Nur wenn ich bei­des ver­ste­he, kann ich hand­lungs­an­lei­ten­de Emp­feh­lun­gen für ein Unter­neh­men formulieren.“

Ein Gedankenexperiment – der GR Blog

Den jüngs­ten Gedan­ken zur Wei­ter­ent­wick­lung von GR fass­te Ans­gar Baums inmit­ten der Coro­na-Pan­de­mie. In ver­schie­de­nen Blog-Bei­trä­gen setzt er sich der struk­tu­rel­len Ver­an­ke­rung von GR in Unter­neh­men aus­ein­an­der. “GR ist kei­ne Kunst, son­dern ein Hand­werk, das man stän­dig ver­bes­sern kann. Dabei geht es um ganz ele­men­ta­re Fra­gen wie: Wie struk­tu­riert man ein Team? Wie kann ich stra­te­gisch han­deln – das heißt: Res­sour­cen bün­deln und auch mal „nein“ sagen?”, erklärt der Poli­tik­ex­per­te. Das Pro­blem vie­ler Orga­ni­sa­tio­nen sei, dass sie Orga­ni­gram­me mit einer Bedarfs­ana­ly­se verwechselten.

Die nächste Evolutionsstufe von GR

Laut Baums sei es des­we­gen ent­schei­dend, GR als stra­te­gi­sche Funk­ti­on eines Unter­neh­mens zu betrach­ten und dem ent­spre­chend im Kern anzu­sie­deln. Ans­gar Baums sieht den künf­ti­gen Platz der GR des­halb bei der Unter­neh­mens­stra­te­gie und spricht sogar von einem „Mer­ger zwi­schen GR und Strategy“.