Social Media wird auch für die politische Kommunikation immer wichtiger. Das zeigt eine Untersuchung der Beratungsagentur Grayling, die das Nutzungsverhalten von Politiker*innen aus ganz Europa analysiert hat. Moritz Arnold, Senior Director von Grayling Austria, beschreibt in seinem Beitrag, welchen Einfluss Land, Geschlecht, Alter und politische Ausrichtung auf die Kommunikation in sozialen Medien haben – und wie Österreich im europäischen Vergleich abschneidet.
Grayling führte die Studie gemeinsam mit dem Social-Media-Intelligence-Unternehmen Linkfluence durch. Dabei wurden fast 3 Millionen Beiträge analysiert, die von Abgeordneten aus 17 europäischen Ländern sowie dem Europäischen Parlament auf Twitter, Facebook und Instagram gepostet wurden.
Die wichtigsten Ergebnisse:
Die österreichischen Parlamentarier liegen mit durchschnittlich 296 Beiträgen auf Social Media im europäischen Mittelfeld. Die Parlamentsabgeordneten aus Spanien, Polen sowie Deutschland sowie die Gruppe der MEPs (Members of European Parliament) posten am häufigsten.
Facebook ist in Österreich die Nummer 1 Plattform gefolgt von Twitter und Instagram. Europaweit ist Twitter der Kanal der Wahl.
Die Engagement-Raten sind bei Politiker*innen wesentlich höher als bei Influencer*innen oder Marken, wie Benchmark-Vergleiche zeigen.
Abgeordnete des rechten politischen Spektrums sind auf Social Media überproportional aktiv.
Parlamentarier aus der „Boomer“-Generation sind die aktivste Altersgruppe auf den analysierten Kanälen.
Social Media-Nutzung in der Bevölkerung
Die allgemeine Social Media-Nutzung variiert in den 17 analysierten europäischen Ländern enorm. Während in Schweden 82 % der Bevölkerung soziale Kanäle nutzen, sind es in Serbien nur knapp 53 %. Und so unterscheiden sich auch die Aktivitäten der Parlamentarier*innen pro Land massiv: 690 Postings pro Parlamentarier*in gab es in den ‚Cortes Generales‘, dem spanischen Parlament – damit sind die Spanier*innen absolute Spitzenreiter*innen. Dem gegenüber stehen die bulgarischen Abgeordneten, die es auf durchschnittlich 24 Postings bringen.
Abgeordnete nutzen Plattformen anders als ihre Wähler*innen
In allen 17 Ländern – mit einer Ausnahme – ist Facebook innerhalb der Bevölkerung die beliebteste der drei analysierten Plattformen, Instagram liegt an zweiter und Twitter an dritter Stelle. Die Ausnahme ist Russland – im „VKontakte-Land“ liegt Instagram an erster Stelle, gefolgt von Facebook und Twitter.
Bei den Abgeordneten hingegen liegt Twitter (67 % der Inhalte) an der Spitze, gefolgt von Facebook (28 %) und Instagram (5 %).
Dass Twitter die beliebteste Social-Media-Plattform unter Politiker*innen ist, kommt nicht überraschend. Die Ergebnisse verdeutlichen aber die Vielfalt und die Länderbesonderheiten, die es in Europa gibt. Es gibt einige lokale Ausnahmen und sogar zwischen Nachbarländern klare Unterschiede.
Bei den Nationalrats-Abgeordneten in Österreich ist beispielsweise Facebook mit 88 % der Nummer 1 Kanal.
Um lokale Dynamiken zu verstehen, ist es für Unternehmen daher unerlässlich, mit Expert*innen in den jeweiligen Zielmärkten zusammenzuarbeiten. Eine Kampagne für mehrere Märkte ohne lokale Anpassungen sollte passé sein.
Abgeordnete sind die wahren Influencer*innen
Ein Blick auf die durchschnittliche Engagement-Rate von Abgeordneten in ganz Europa zeigt, dass sie ihr Publikum über Instagram, Facebook und Twitter vergleichsweise viel effektiver als Marken und sogar „klassische Influencer“, wenn man Social-Media-Benchmarks vergleicht. Wieso? Zum einen folgen User*innen Lifestyle-Accounts eher passiv, während das Folgen eines/r Abgeordneten in der Regel zu „aktivem“ politischen Engagement führt und dazu, dass Follower ihre Meinung zu den Posts äußern. Zum anderen haben Politiker*innen schnell verstanden, dass Social-Media-Plattformen eine einzigartige Möglichkeit darstellen, die Kommunikation mit Bürger*innen zu verändern. Es braucht nicht mehr den „Umweg“ über klassische Medien, um eine Debatte anzuregen oder um Positionen der Wähler*innen in Echtzeit abzufragen.
Männliche und weibliche Abgeordnete nutzen soziale Medien unterschiedlich
Männliche Abgeordnete posten im Vergleich zu weiblichen etwas mehr auf Facebook. Frauen sind hingegen auf Twitter (und Instagram) aktiver als Männer. Die durchschnittlichen Engagement-Raten für weibliche Abgeordnete sind etwas höher als für männliche Abgeordnete – zumindest auf Facebook und Twitter.
Dass weibliche Abgeordnete Twitter noch mehr bevorzugen als Männer, ist eine Überraschung, wenn man bedenkt, dass Twitter generell die am stärksten von Männern dominierte Plattform ist.
In den sozialen Medien und ganz besonders auf Twitter sind Politikerinnen zudem Beschimpfungen und Untergriffen deutlich öfters ausgesetzt als ihre männlichen Kollegen. Das liegt zum Teil daran, dass weibliche Abgeordnete im Durchschnitt jünger sind (unsere Analyse zeigt, dass jüngere Abgeordnete Twitter und Instagram bevorzugen) und auch eher dem linken Parteispektrum angehören (insbesondere der linken Mitte, wo Twitter eindeutig die bevorzugte Plattform ist).
Und warum sehen weibliche Abgeordnete höhere Engagement-Raten für ihre Beiträge auf Twitter und Facebook? Eine Reihe von Mikroanalysen hat gezeigt, dass jene Beiträge das stärkste Engagement erzeugen, die den richtigen Ton im richtigen Moment finden, konstruktiv sind und nicht versuchen, billige politische Punkte zu machen. Vielleicht haben Politikerinnen hier einen Vorteil gegenüber ihren männlichen Kollegen.
Das Alter macht den Unterschied
Das Alter wirkt sich auf die Nutzung sozialer Medien aus – die meisten von uns kennen das aus der eigenen Familie. Überraschend ist, dass die jüngsten Abgeordneten (die unter 35-Jährigen, die etwa 10 % der analysierte Parlamentarier*innen ausmachen) nicht die aktivste Gruppe in den sozialen Medien sind. Sie sind jedoch auf Instagram am aktivsten und ihre Inhalte generieren die höchsten Engagement-Raten auf allen drei Plattformen. Das deutet darauf hin, dass es den jüngsten Abgeordneten eher um Qualität als um Quantität geht: Sie verstehen es, soziale Medien gezielt zu nutzen. Für sie zählen Kommentare, Likes, Shares und Retweets mehr als viele eigene Postings.
Rechtsorientierte Parteien sind überproportional aktiv
Unsere Analyse zeigt, dass Politiker*innen aus dem rechten Spektrum am effektivsten beim Aufbau einer Anhängerschaft in den sozialen Medien sind. Die Botschaften der Rechten sind am gleichmäßigsten über alle drei Plattformen verteilt – ein Hinweis darauf, dass sie am effizientesten beim Teilen von Inhalten und am konsequentesten bei deren Nutzung sind. Die Abgeordneten der rechten Parteien haben das höchste Engagement auf Twitter, welches natürlich auch auf kritischen Kommentaren von Gegner*innen basiert. Alles in allem gewinnen die Rechten im Moment in den sozialen Medien. Und zwar mit großem Vorsprung auf Twitter und Instagram. Sie haben sich hier eine Plattform für ihre Botschaften geschaffen, die ihnen früher über traditionelle Medien nicht zur Verfügung stand. Es bleibt abzuwarten, ob dies ein dauerhafter struktureller Vorteil für die rechtsorientierten Politiker*innen ist. Soziale Medien machen es nicht einfach, politischen Kontext, Komplexität und Nuancen zu vermitteln. So könnten Initiativen, die Inhalte auf den Plattformen stärker moderieren oder das Bestreben anderer politischer Gruppen, ihre Botschaften in sozialen Medien besser zu kommunizieren, dazu führen, dass dieses Phänomen zeitlich begrenzt ist.
Die Studie umfasst die Abgeordneten zum Europäischen Parlament sowie die Parlamentarier*innen aus Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Österreich, Polen, Russland, Schweden, Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn sowie dem Vereinigten Königreich. Der Zeitrahmen der analysierten Posts war das gesamte Jahr 2020.
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