Grayling-Analyse: Wer postet, regiert

Autor: Moritz Arnold | 21. Juni 2021

Social Media wird auch für die politische Kommunikation immer wichtiger. Das zeigt eine Untersuchung der Beratungsagentur Grayling, die das Nutzungsverhalten von Politiker*innen aus ganz Europa analysiert hat. Moritz Arnold, Senior Director von Grayling Austria, beschreibt in seinem Beitrag, welchen Einfluss Land, Geschlecht, Alter und politische Ausrichtung auf die Kommunikation in sozialen Medien haben – und wie Österreich im europäischen Vergleich abschneidet.

Gray­ling führ­te die Stu­die gemein­sam mit dem Social-Media-Intel­li­gence-Unter­neh­men Link­fluence durch. Dabei wur­den fast 3 Mil­lio­nen Bei­trä­ge ana­ly­siert, die von Abge­ord­ne­ten aus 17 euro­päi­schen Län­dern sowie dem Euro­päi­schen Par­la­ment auf Twit­ter, Face­book und Insta­gram gepos­tet wurden.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  1. Die öster­rei­chi­schen Par­la­men­ta­ri­er lie­gen mit durch­schnitt­lich 296 Bei­trä­gen auf Social Media im euro­päi­schen Mit­tel­feld. Die Par­la­ments­ab­ge­ord­ne­ten aus Spa­ni­en, Polen sowie Deutsch­land sowie die Grup­pe der MEPs (Mem­bers of Euro­pean Par­lia­ment) pos­ten am häufigsten.
  2. Face­book ist in Öster­reich die Num­mer 1 Platt­form gefolgt von Twit­ter und Insta­gram. Euro­pa­weit ist Twit­ter der Kanal der Wahl.
  3. Die Enga­ge­ment-Raten sind bei Politiker*innen wesent­lich höher als bei Influencer*innen oder Mar­ken, wie Bench­mark-Ver­glei­che zeigen.
  4. Abge­ord­ne­te des rech­ten poli­ti­schen Spek­trums sind auf Social Media über­pro­por­tio­nal aktiv.
  5. Par­la­men­ta­ri­er aus der „Boomer“-Generation sind die aktivs­te Alters­grup­pe auf den ana­ly­sier­ten Kanälen.

Social Media-Nutzung in der Bevölkerung

Die all­ge­mei­ne Social Media-Nut­zung vari­iert in den 17 ana­ly­sier­ten euro­päi­schen Län­dern enorm. Wäh­rend in Schwe­den 82 % der Bevöl­ke­rung sozia­le Kanä­le nut­zen, sind es in Ser­bi­en nur knapp 53 %. Und so unter­schei­den sich auch die Akti­vi­tä­ten der Parlamentarier*innen pro Land mas­siv: 690 Pos­tings pro Parlamentarier*in gab es in den ‚Cor­tes Gene­ra­les‘, dem spa­ni­schen Par­la­ment – damit sind die Spanier*innen abso­lu­te Spitzenreiter*innen. Dem gegen­über ste­hen die bul­ga­ri­schen Abge­ord­ne­ten, die es auf durch­schnitt­lich 24 Pos­tings bringen.

Abgeordnete nutzen Plattformen anders als ihre Wähler*innen

In allen 17 Län­dern – mit einer Aus­nah­me – ist Face­book inner­halb der Bevöl­ke­rung die belieb­tes­te der drei ana­ly­sier­ten Platt­for­men, Insta­gram liegt an zwei­ter und Twit­ter an drit­ter Stel­le. Die Aus­nah­me ist Russ­land – im „VKon­tak­te-Land“ liegt Insta­gram an ers­ter Stel­le, gefolgt von Face­book und Twitter.

Bei den Abge­ord­ne­ten hin­ge­gen liegt Twit­ter (67 % der Inhal­te) an der Spit­ze, gefolgt von Face­book (28 %) und Insta­gram (5 %).

Dass Twit­ter die belieb­tes­te Social-Media-Platt­form unter Politiker*innen ist, kommt nicht über­ra­schend. Die Ergeb­nis­se ver­deut­li­chen aber die Viel­falt und die Län­der­be­son­der­hei­ten, die es in Euro­pa gibt. Es gibt eini­ge loka­le Aus­nah­men und sogar zwi­schen Nach­bar­län­dern kla­re Unterschiede.

Bei den Natio­nal­rats-Abge­ord­ne­ten in Öster­reich ist bei­spiels­wei­se Face­book mit 88 % der Num­mer 1 Kanal.

Um loka­le Dyna­mi­ken zu ver­ste­hen, ist es für Unter­neh­men daher uner­läss­lich, mit Expert*innen in den jewei­li­gen Ziel­märk­ten zusam­men­zu­ar­bei­ten. Eine Kam­pa­gne für meh­re­re Märk­te ohne loka­le Anpas­sun­gen soll­te pas­sé sein.

Abgeordnete sind die wahren Influencer*innen

Ein Blick auf die durch­schnitt­li­che Enga­ge­ment-Rate von Abge­ord­ne­ten in ganz Euro­pa zeigt, dass sie ihr Publi­kum über Insta­gram, Face­book und Twit­ter ver­gleichs­wei­se viel effek­ti­ver als Mar­ken und sogar „klas­si­sche Influen­cer“, wenn man Social-Media-Bench­marks ver­gleicht. Wie­so? Zum einen fol­gen User*innen Life­style-Accounts eher pas­siv, wäh­rend das Fol­gen eines/r Abge­ord­ne­ten in der Regel zu „akti­vem“ poli­ti­schen Enga­ge­ment führt und dazu, dass Fol­lower ihre Mei­nung zu den Posts äußern. Zum ande­ren haben Politiker*innen schnell ver­stan­den, dass Social-Media-Platt­for­men eine ein­zig­ar­ti­ge Mög­lich­keit dar­stel­len, die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Bürger*innen zu ver­än­dern. Es braucht nicht mehr den „Umweg“ über klas­si­sche Medi­en, um eine Debat­te anzu­re­gen oder um Posi­tio­nen der Wähler*innen in Echt­zeit abzufragen.

Männliche und weibliche Abgeordnete nutzen soziale Medien unterschiedlich

Männ­li­che Abge­ord­ne­te pos­ten im Ver­gleich zu weib­li­chen etwas mehr auf Face­book. Frau­en sind hin­ge­gen auf Twit­ter (und Insta­gram) akti­ver als Män­ner. Die durch­schnitt­li­chen Enga­ge­ment-Raten für weib­li­che Abge­ord­ne­te sind etwas höher als für männ­li­che Abge­ord­ne­te – zumin­dest auf Face­book und Twitter.

Dass weib­li­che Abge­ord­ne­te Twit­ter noch mehr bevor­zu­gen als Män­ner, ist eine Über­ra­schung, wenn man bedenkt, dass Twit­ter gene­rell die am stärks­ten von Män­nern domi­nier­te Platt­form ist.

In den sozia­len Medi­en und ganz beson­ders auf Twit­ter sind Poli­ti­ke­rin­nen zudem Beschimp­fun­gen und Unter­grif­fen deut­lich öfters aus­ge­setzt als ihre männ­li­chen Kol­le­gen. Das liegt zum Teil dar­an, dass weib­li­che Abge­ord­ne­te im Durch­schnitt jün­ger sind (unse­re Ana­ly­se zeigt, dass jün­ge­re Abge­ord­ne­te Twit­ter und Insta­gram bevor­zu­gen) und auch eher dem lin­ken Par­tei­spek­trum ange­hö­ren (ins­be­son­de­re der lin­ken Mit­te, wo Twit­ter ein­deu­tig die bevor­zug­te Platt­form ist).

Und war­um sehen weib­li­che Abge­ord­ne­te höhe­re Enga­ge­ment-Raten für ihre Bei­trä­ge auf Twit­ter und Face­book? Eine Rei­he von Mikro­ana­ly­sen hat gezeigt, dass jene Bei­trä­ge das stärks­te Enga­ge­ment erzeu­gen, die den rich­ti­gen Ton im rich­ti­gen Moment fin­den, kon­struk­tiv sind und nicht ver­su­chen, bil­li­ge poli­ti­sche Punk­te zu machen. Viel­leicht haben Poli­ti­ke­rin­nen hier einen Vor­teil gegen­über ihren männ­li­chen Kollegen.

Das Alter macht den Unterschied

Das Alter wirkt sich auf die Nut­zung sozia­ler Medi­en aus – die meis­ten von uns ken­nen das aus der eige­nen Fami­lie. Über­ra­schend ist, dass die jüngs­ten Abge­ord­ne­ten (die unter 35-Jäh­ri­gen, die etwa 10 % der ana­ly­sier­te Parlamentarier*innen aus­ma­chen) nicht die aktivs­te Grup­pe in den sozia­len Medi­en sind. Sie sind jedoch auf Insta­gram am aktivs­ten und ihre Inhal­te gene­rie­ren die höchs­ten Enga­ge­ment-Raten auf allen drei Platt­for­men. Das deu­tet dar­auf hin, dass es den jüngs­ten Abge­ord­ne­ten eher um Qua­li­tät als um Quan­ti­tät geht: Sie ver­ste­hen es, sozia­le Medi­en gezielt zu nut­zen. Für sie zäh­len Kom­men­ta­re, Likes, Shares und Ret­weets mehr als vie­le eige­ne Postings.

Rechtsorientierte Parteien sind überproportional aktiv

Unse­re Ana­ly­se zeigt, dass Politiker*innen aus dem rech­ten Spek­trum am effek­tivs­ten beim Auf­bau einer Anhän­ger­schaft in den sozia­len Medi­en sind. Die Bot­schaf­ten der Rech­ten sind am gleich­mä­ßigs­ten über alle drei Platt­for­men ver­teilt – ein Hin­weis dar­auf, dass sie am effi­zi­en­tes­ten beim Tei­len von Inhal­ten und am kon­se­quen­tes­ten bei deren Nut­zung sind. Die Abge­ord­ne­ten der rech­ten Par­tei­en haben das höchs­te Enga­ge­ment auf Twit­ter, wel­ches natür­lich auch auf kri­ti­schen Kom­men­ta­ren von Gegner*innen basiert. Alles in allem gewin­nen die Rech­ten im Moment in den sozia­len Medi­en. Und zwar mit gro­ßem Vor­sprung auf Twit­ter und Insta­gram. Sie haben sich hier eine Platt­form für ihre Bot­schaf­ten geschaf­fen, die ihnen frü­her über tra­di­tio­nel­le Medi­en nicht zur Ver­fü­gung stand. Es bleibt abzu­war­ten, ob dies ein dau­er­haf­ter struk­tu­rel­ler Vor­teil für die rechts­ori­en­tier­ten Politiker*innen ist. Sozia­le Medi­en machen es nicht ein­fach, poli­ti­schen Kon­text, Kom­ple­xi­tät und Nuan­cen zu ver­mit­teln. So könn­ten Initia­ti­ven, die Inhal­te auf den Platt­for­men stär­ker mode­rie­ren oder das Bestre­ben ande­rer poli­ti­scher Grup­pen, ihre Bot­schaf­ten in sozia­len Medi­en bes­ser zu kom­mu­ni­zie­ren, dazu füh­ren, dass die­ses Phä­no­men zeit­lich begrenzt ist.

Die Stu­die umfasst die Abge­ord­ne­ten zum Euro­päi­schen Par­la­ment sowie die Parlamentarier*innen aus Bul­ga­ri­en, Deutsch­land, Frank­reich, Grie­chen­land, Ita­li­en, Kroa­ti­en, Öster­reich, Polen, Russ­land, Schwe­den, Ser­bi­en, Slo­wa­kei, Slo­we­ni­en, Spa­ni­en, Tsche­chi­sche Repu­blik, Ungarn sowie dem Ver­ei­nig­ten König­reich. Der Zeit­rah­men der ana­ly­sier­ten Posts war das gesam­te Jahr 2020.