These 2: Jede Kampagne braucht eine „Theory of Change“
Menschen, die sich durch eine Kampagne und deren Ziel angesprochen fühlen, wollen stets Veränderung. Deshalb muss ihnen die Kampagne eine Antwort auf zwei Fragen liefern:
- „WIE soll unsere Welt aussehen, nachdem wir Erfolg hatten?“
- „Warum sind WIR es, die die Welt verändern wollen?“
Das Entwickeln einer Theory of Change (meist abgekürzt ToC geschrieben) ermöglicht es, gemeinsam die Ziele und Pläne zu reflektieren und dadurch besser zu kommunizieren. Die ToC ist eine Vorstufe zur eigentlichen Strategie. Sie folgt idealerweise dem Schema „if“ à „then“ à „else“: Ausgehend von einem Szenario des angestrebten besseren Zustands stellt sich die Frage: „Falls (if) wir diesen Zustand erreichen wollen, was müssen wir dann (then) alles verändern?“ Daran schließt sich unmittelbar die Gegenprobe an: „Was passiert, wenn wir die Veränderung nicht erreichen? (else)“.
Schließlich folgt die bereits oben angeführt die Frage, warum UNSERE Organisation die richtige ist, um diese Veränderung herbeizuführen.
Somit macht eine ToC die Zusammenhänge zwischen den geplanten Aktivitäten und den erhofften Ergebnissen sichtbar. Sie ist gewissermaßen eine Roadmap zur Veränderung.
These 3: Digital ist mehr als Social Media
Die Digitalisierung muss als Querschnittsmaterie verstanden werden, die sich durch alle Bereiche zieht. In einer Kampagne oder einem PA-Projekt müssen Facebook, Twitter, Instagram & Co als Instrumente begriffen werden, die mit anderen Maßnahmen koordiniert und verzahnt werden – sie sind nicht ein Bereich für sich.
Das lässt sich sehr schön demonstrieren, wenn man den Einsatz von digitalen Medien bei US-Präsidentschaftswahlen im Rückblick betrachtet:
- 2004 (Bush vs. Kerry) war es ein Novum, dass Kandidaten eine eigene Website hatten.
- 2008 (Obama vs. McCain) wurden eigene Digital Teams installiert, die vor allem Content ins Web stellten. Social Media spielte noch eine untergeordnete Rolle.
- 2012 (Obama vs. Romney) gab es eigene Social Media Teams innerhalb des Digital Teams, Facebook und Twitter gewannen an Bedeutung.
- 2016 (Trump vs. Clinton): Das Digital Team umfasste neben Social Media auch Experten für direkte Kommunikation über E‑Mail und SMS, Experten für Digital Recruiting (von Freiwilligen und Unterstützern), Paid Online Marketing, etc.
- 2020 (Trump vs. Biden): Es gab kein eigenes Digital Team mehr, die Funktionen waren vollständig in die Wahlkampf-Kommunikation integriert.
Dabei können je nach Strategie alle verfügbaren Technologien eingesetzt werden. Klassisches E‑Mail kann einer der stärksten Kanäle sein, wenn er richtig genutzt wird. Eine richtige Nutzung muss berücksichtigen, dass E‑Mail als persönliche Zweiweg-Kommunikation konzipiert wurde. Newsletter und digitale Postwurfsendungen sind daher wenig wirksam, sehr wohl hingegen echte persönliche Ansprache und Call to action.
These 4: Think of the big tail
Wer an digitale Medien denkt, assoziiert damit meist Schnelligkeit, Ad-hoc-Verfügbarkeit und kurzatmiges Haften am Augenblick. Dabei wird übersehen, dass das Internet auch ein langes und sehr umfangreiches Gedächtnis hat. Inhalte bleiben dort erhalten und sind über Suchmaschinen auffindbar. Deshalb sollten die digitalen Maßnahmen im Rahmen einer Kampagne oder eines PA-Projekts nicht nur im Hinblick auf ihre Reichweite, sondern auch im Hinblick auf die Langzeitwirkung konzipiert werden.
Langzeitwirkung lässt sich vor allem bei Menschen erzielen, die sich bereits näher mit einem Thema befasst haben oder ein besonderes Interesse daran mitbringen. Solche Menschen lassen sich im Internet leicht finden. Zu fast jedem Thema gibt es im Web bereits eine Nische – eine vermutlich eher kleine Gruppe von besonders aktiven Personen, die bereits entsprechende Inhalte produziert haben und daher das Anliegen auch aktiv weitertragen.
Denn weniger Reichweite bedeutet fast immer mehr Aufmerksamkeit. Wenn die Zielgruppe kleiner wird, wird sie auch treffgenauer. Mit digitalen Medien können Gruppen angesprochen werden, die zwar vergleichsweise kleiner sind, sich dafür aber wirklich interessieren.
These 5: SMS ist ein einfaches, rasches interaktives Medium
In US-Wahlkämpfen spielen SMS seit Längerem eine wichtige Rolle. Besonders schön war das im Vorwahlkampf der US-Demokraten 2019/2020 zu beobachten: Ausnahmslos alle Kandidaten hatten bei ihren Auftritten auf dem Rednerpult oder im Hintergrund ein großes Schild montiert, das die Aufforderung „Text me“ und eine Mobiltelefonnummer enthielt.
Die Erfahrungen aus den USA lassen sich aber nur bedingt auf Europa umlegen. Speziell in Österreich sind die rechtlichen Beschränkungen für Werbe-SMS sehr streng. Wenn man diese Beschränkungen beachtet und die legalen Voraussetzungen schafft (also die Zustimmung der User einholt), dann kann SMS-Kommunikation sehr wirkungsvoll sein, denn sie läuft über das Mobiltelefon, also das am stärksten verbreitete Instrument der digitalen Kommunikation. Rund die Hälfte aller User von Web-Informationen konsumieren diese über Smartphones. Diese Nutzung ist auch weitgehend unabhängig von Ort und Zeit. Zum Beispiel wird beim Warten auf die U‑Bahn oder beim Fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr intensiv Smartphone-Info genutzt.
Das bedeutet, dass alle digitalen Informationen handytauglich gestaltet werden müssen, auch und gerade Podcasts und Videos. Direkte SMS-Kommunikation erfordert eine leistungsfähige Logistik. Eingehende SMS müssen rasch beantwortet werden, dazu ist ein ausreichend großes Team erforderlich, ebenso natürlich eine ausreichend Bandbreite in den Mobilnetzen.
Trotz dieser Hürden wurde SMS-Kommunikation zum Beispiel auch im Wien-Wahlkampf 2020 genutzt. Vor allem die Grünen und die NEOS haben rechtzeitig einen großen Datensatz an Empfängern angesammelt, die dem regelmäßigen Empfang von Botschaften zugestimmt haben und daraufhin zum Beispiel die „Botschaft des Tages“ erhielten, oder Ad-hoc-Stellungnahmen zu aktuellen Themen.
These 6: Auch digitales Astroturfing ist kontraproduktiv
Vorgetäuschte Bürgerbewegungen, hinter denen in Wahrheit eine Industriegruppe oder eine Branche steht, waren eine verbreitete Unart der Nullerjahre. Mehrere Skandale rund um angebliche NGOs in der Pharma- und Lebensmittelbranche machten die Methode öffentlich bekannt und brachten sie zugleich in Verruf. Obwohl Astroturfing mittlerweile zu den geächteten Praktiken gehört, tauchen einschlägige Versuche immer wieder auf – wohl gerade deshalb, weil es auf Internetplattformen und auf den Social-Media-Kanälen so einfach ist, Basis-Initiativen zu starten.
Oft trifft die Qualifikation „Astroturf“ nur zur Hälfte zu, es handelt sich sehr wohl um echte Initiativen mit echten Bürgern, allerdings steht ein Sponsor mit einem politischen oder wirtschaftlichen Interesse im Hintergrund. Jedenfalls zeigt die Erfahrung, dass unechte Initiativen früher oder später immer scheitern und dann nach hinten losgehen. Dann schädigt der Versuch, populäre Unterstützung vorgetäuscht zu haben, dem Anliegen insgesamt, das a priori möglicherweise durchaus anerkennenswert gewesen sein mag.
Gedankensplitter
Im Anschluss an den Vortrag hat Yussi Pick Fragen aus dem Publikum beantwortet. Auszüge aus den Antworten:
Die Corona-Krise mit ihrem unvorhergesehenen Digitalisierungs-Schub hat auch die digitale Zielgruppe erweitert. Nach wie vor gilt aber für alle, die Kampagnen planen, Anliegen transportieren oder einfach nur Netzwerke knüpfen wollen: Menschen werden im digitalen Raum organisiert – sie treffen sich aber in der realen Welt. Es ist wichtig jetzt eine Community aufzubauen, nicht erst wenn man ein konkretes Thema hat.
- Digitale Public Affairs ist eine bedeutende Schiene der politischen Kommunikation geworden und ergänzt die gewohnte „Ledersofa-Türklinken-PA“. Die große Chance, die digitale Methoden bieten, liegt im Aufbau von Communities. Menschen, die mein Anliegen teilen und mittragen, lassen sich im Internet leichter finden. Allerdings ist für PA Arbeit die reale Welt nach wie vor sehr wichtig.
- Die Gefahr des Missbrauchs von digitalen Kanälen für Manipulation und Desinformation ist unverändert hoch, auch wenn das Bewusstsein gestärkt und die Schutzmaßnahmen verbessert wurden – vor allem in Reaktion auf die Skandale aus dem Trump-Wahlkampf 2016 und später auf die manischen Fake-News-Tweets Trumps während seiner Präsidentschaftszeit. Trotzdem ist das Internet der Ort der Verschwörungstheorien. Nicht nur Russland setzt Trolle ein. So hat z.B. der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro im Wahlkampf massiv mit Verbreitung von Gerüchten über WhatsApp-Gruppen gearbeitet.
- Eine Folge der Skandale war, dass sich jüngere Menschen aus den offenen Social Media Kanälen (Facebook, Twitter, Instagram) in nichtöffentliche digitale Räume zurückziehen (WhatsApp, Snapchat). Für politische Kommunikatoren entsteht daraus eine neue Herausforderung, nämlich in solche Gruppen eingelassen zu werden.
- Digitale Partizipation ist ein Trend, aber es handelt sich oft um die „Illusion von Partizipation“. Kampagnen versuchen immer, Menschen an einem Prozess teilhaben zu lassen, aber man muss eingestehen, dass die Teilhabe oft nur darin besteht, ein Anliegen mit seiner Stimme zu unterstützen. Freiwillige Unterstützer müssen eingebunden werden und investiert sein.
- Ein großes Problem bei Online-Partizipation besteht darin, dass die Prozesse schnell elitär werden, weil sowohl der Zugriff auf den Prozess als auch die inhaltlichen Fragen hohes Vorwissen erfordern.