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Mitreden in der digitalen Agora

Autoren: Joa­chim Kurz & Wal­ter Osz­to­vics | 10. Mai 2022

Edward Strasser ist Gründer und CEO einer Organisation, deren Name zunächst wie ein Widerspruch in sich klingt: Innovation in Politics Institute. Die Mitarbeiter:innen dieses Instituts suchen europaweit Menschen mit neuen Ideen zur Belebung der Demokratie. Sie vernetzen und dokumentieren solche Innovationen. Einmal im Jahr lässt das Institut interessante Initiativen durch eine Fachjury sowie durch Bürger:innen bewerten. Die besten Ideen erhalten dann einen der Innovation in Politics Awards. Beim Treffen mit dem Arbeitskreis Digital Public Affairs beschrieb Strasser, wie digitale Instrumente mehr Partizipation und Bürgernähe schaffen können – und dazu zwingen, politische Prozesse neu zu denken.


Abseits der ein­ge­ses­se­nen Insti­tu­tio­nen ist das Feld der Poli­tik wesent­lich inno­va­ti­ver, als die meis­ten anneh­men wür­den. Die­se Erfah­rung hat Edward Stras­ser selbst über­rascht, wie er sagt: 

„Der Druck zur Ver­än­de­rung ist enorm hoch. In allen euro­päi­schen Demo­kra­tien sinkt das Ver­trau­en in die gewähl­ten poli­ti­schen Ver­tre­ter. Quer durch alle Schich­ten und Berufs­grup­pen erle­ben wir eine mas­si­ve Ero­si­on des Ver­trau­ens in Politik.“

Technologie für mehr Demokratie

Die­ser Wan­del ist natür­lich auch den poli­ti­schen Akteu­ren nicht ent­gan­gen. In allen Par­tei­en und Insti­tu­tio­nen wird dar­über nach­ge­dacht, so Stras­ser, „wie Poli­tik heu­te sein muss, damit sie wie­der bei den Bürger:innen ankommt.“ Eine Ant­wort lau­tet: Sie muss näher an die Bürger:innen rücken, muss Zivil­ge­sell­schaft und Ein­zel­per­so­nen stär­ker in poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen invol­vie­ren. Die fort­schrei­ten­de Digi­ta­li­sie­rung lie­fert dazu völ­lig neue Mög­lich­kei­ten, sagt Stras­ser, das zei­ge sich auch in den Pro­jek­ten, die für den Inno­va­ti­on in Poli­tics Award nomi­niert werden: 

„Im Bereich der digi­ta­len Par­ti­zi­pa­ti­on bewegt sich der­zeit sehr viel.“

In Euro­pa ent­steht gera­de ein ech­ter Markt für jene Dienst­leis­tun­gen, für die sich wohl der Begriff „Demo­cra­cy Tech­no­lo­gy“ ein­bür­gern wird. Star­ke Zuwäch­se las­sen sich sowohl auf der Anbie­ter- als auch auf der Nach­fra­ger­sei­te beob­ach­ten. Anbie­ter sind vor allem Soft­ware-Ent­wick­ler und Online-Ser­vice-Pro­vi­der, die Pro­gram­me für öffent­li­che Kon­sul­ta­tio­nen eben­so anbie­ten wie für Abstim­mun­gen oder für orga­ni­sier­te Debat­ten über aktu­el­le Fra­gen. Nach­ge­fragt wer­den sol­che Tech­no­lo­gien von NGOs, von Ver­bän­den und gro­ßen Inter­es­sens­or­ga­ni­sa­tio­nen, aber auch in hohem Maße von Städ­ten und Gemein­den, denn auf kom­mu­na­ler Ebe­ne ist die digi­ta­le Mit­be­stim­mung bereits am wei­tes­ten fort­ge­schrit­ten. Zumin­dest im Rest von Euro­pa, denn „Öster­reich ist in die­sem Punkt lei­der Entwicklungsland.“

Formen der digitalen Mitbestimmung

Für die Par­ti­zi­pa­ti­on über das Inter­net gibt es eine Fül­le von Anwen­dungs­mög­lich­kei­ten. Stras­ser beob­ach­tet, dass sich der­zeit fünf Fel­der am stärks­ten entwickeln:

1. Par­ti­zi­pa­ti­ve Budgets

Gro­ße Städ­te wie Paris oder Bar­ce­lo­na haben es vor­ge­macht, vie­le ande­re sind gefolgt und haben dar­aus einen der erfolg­reichs­ten Trends in der Bürger:innenbeteiligung gemacht: Wähler:innen kön­nen auf Online-Platt­for­men Vor­schlä­ge machen, wofür das Stad­bud­get (jeden­falls ein Teil davon) ver­wen­det wer­den soll. Über die Vor­schlä­ge wird eben­falls online abge­stimmt. Pro­jek­te, die auf die­se Wei­se eine Mehr­heit erhal­ten, sind dann für die Stadt­re­gie­rung bin­dend, es han­delt sich also nicht ein­fach um Befra­gun­gen und Mei­nungs­aus­tausch. Die­se Ver­bind­lich­keit ist wich­tig, betont Strasser: 

„Zum einen erhält die Mit­ar­beit der Bürger:innen nur so ihren Sinn, denn sie wis­sen, dass sie nicht nur Fei­gen­blatt spie­len, son­dern wirk­lich ent­schei­den kön­nen. Zum ande­ren gehen alle Betei­lig­ten wesent­lich ver­ant­wor­tungs­vol­ler vor, wenn klar ist, dass hier wirk­lich Steu­er­geld kana­li­siert wird.“

Gelun­ge­ne Bei­spie­le für Pro­jek­te die­ser Art lie­fern neben Paris auch Bar­ce­lo­na und Reykjavik.

2. Par­ti­zi­pa­ti­ve Gesetzesarbeit

Die akti­ve Mit­wir­kung an der Aus­ar­bei­tung von Geset­zen ist sehr anspruchs­voll, sie ver­langt auch den teil­neh­men­den Bür­ge­rin­nen viel Wis­sen ab, sowohl inhalt­lich als auch pro­zes­su­al. Das soll aber nicht davon abhal­ten, wenigs­tens ein­fa­che Stel­lung­nah­men über Online-Tools mög­lich zu machen. Dafür muss aber wie­der die Soft­ware eini­ges drauf­ha­ben, erläu­tert Strasser: 

„Wenn das nicht in Pseu­do-Mit­wir­kung für den Papier­korb abglei­ten soll, braucht es Pro­gram­me der Künst­li­chen Intel­li­genz (KI), um vie­le tau­send Vor­schlä­ge und Anmer­kun­gen aus­wer­ten zu können.“

3. Online Voting

Wenn Abstim­mungs­pro­zes­se online funk­tio­nie­ren sol­len, müs­sen die Sys­te­me hohe Sicher­heits­stan­dards erfül­len, sowohl was die zwei­fels­freie Iden­ti­fi­ka­ti­on der Wähler:innen betrifft, als auch die Fäl­schungs- und Abhör­si­cher­heit. Die EU hat inzwi­schen Emp­feh­lun­gen für Sicher­heits­vor­schrif­ten aus­ge­ar­bei­tet, die von den Anbie­tern der e‑Vo­ting-Sys­te­me ein­ge­for­dert wer­den soll­ten. Wenn die Sicher­heit gewähr­leis­tet ist, kann e‑Voting die Teil­nah­me an Wah­len deut­lich ver­bes­sern und in vie­len Län­dern den Zugang von sonst mar­gi­na­li­sier­ten Grup­pen erleichtern.

4. „Fix my street“-Plattformen

Wenn der Kanal­de­ckel an der Ecke klap­pert, die Stra­ßen­la­ter­ne aus­ge­fal­len ist oder der Wind die Glas­schei­be des Tram­way-War­te­häus­chens ein­ge­schla­gen hat – wohin soll man sich dann als Anrai­ner wen­den? Online-Adres­sen, wo man sol­che Beob­ach­tun­gen sim­pel und form­los mel­den kann, stel­len kei­ne gro­ße Inno­va­ti­on dar, sie ver­bes­sern aber den Dia­log zwi­schen Ver­wal­tung und Bürger:innen und erhö­hen die Acht­sam­keit gegen­über dem öffent­li­chen Raum.

5. Trans­pa­renz, Infor­ma­ti­on, Mei­nungs­bil­dung und Diskussion

Der Dis­ku­tier-Stamm­tisch, die Nach­bar­schafts­ver­samm­lung, die Grät­zel­run­de – sie alle kön­nen sich künf­tig auch in Online-Grup­pen orga­ni­sie­ren. Online-Tools kön­nen ein­ge­setzt wer­den, um die Pro­zes­se der Poli­tik und der Ver­wal­tung trans­pa­ren­ter zu machen, um gezielt über Pro­jek­te zu infor­mie­ren und um Dis­kus­sio­nen bei den Betrof­fe­nen anzustoßen.

Eine Frage des Bewusstseins

War­um han­delt es sich bei die­sen For­men der digi­ta­len Mit­wir­kung trotz aller Erfol­ge immer noch um Inno­va­tio­nen, die erst so rich­tig Fuß fas­sen müs­sen? Edward Stras­ser ortet hier ein man­geln­des Ver­ständ­nis auf Sei­ten der Politik: 

„Vie­le haben die Idee noch über­haupt nicht ver­stan­den. Gera­de poli­ti­sche Par­tei­en ste­hen einer ech­ten Mit­spra­che der Bürger:innen skep­tisch gegen­über. Dort herrscht die Über­zeu­gung: ‚Wir wis­sen bes­ser, was die Men­schen brau­chen, als sie sel­ber.‘ Da fehlt die Offenheit.“

Erfolg­rei­che Par­ti­zi­pa­ti­on – ob online oder im direk­ten Kon­takt – erfor­dert eine Kul­tur des Ver­trau­ens, so Stras­ser. Die Teil­neh­men­den müs­sen ver­trau­en, dass die Pro­zes­se ordent­lich gema­nagt wer­den, dass ihre Arbeit ernst genom­men wird und dass das, was sie tun, irgend­ei­ne Wir­kung haben wird. Sie müs­sen bereit sein, das Risi­ko der Ergeb­nis­of­fen­heit ein­zu­ge­hen. Und sie müs­sen ver­trau­en in die eige­nen Fähig­kei­ten haben, „die Über­zeu­gung, dass etwas Geschei­tes her­aus­kom­men kann.“

Gro­ßes Augen­merk muss auf Inklu­si­on und Reprä­sen­ta­ti­vi­tät gelegt wer­den. Online-Pro­zes­se ermög­li­chen leich­te und nied­rig­schwel­li­ge Zugän­ge – aber nur für Men­schen, die mit Com­pu­tern umge­hen kön­nen und sel­ber einen Lap­top besit­zen. Es ist wich­tig, dar­auf zu ach­ten, dass die weni­ger IT-affi­nen Bevöl­ke­rungs­grup­pen nicht aus­ge­grenzt werden.

Missbrauch verhindern

Schließ­lich spielt auch die Aus­wahl der rich­ti­gen Tech­no­lo­gie eine Rolle: 

„Hier klärt sich gera­de der Markt. Es sind sehr vie­le Anbie­ter unter­wegs, daher gibt es auch jede Men­ge Schar­la­ta­ne oder auch Sys­te­me, die im Ernst­fall mit sehr gro­ßen Daten­men­gen nicht zurechtkommen.“

Unzu­rei­chen­de Tech­nik kann oft die Ursa­che gewe­sen sein, war­um jemand ver­meint­lich schlech­te Erfah­run­gen mit digi­ta­ler Par­ti­zi­pa­ti­on gemacht hat. Wie anfäl­lig sind die Demo­kra­tie-Algo­rith­men gegen­über Miss­brauch, sei es durch Schlam­pe­rei oder durch geziel­te Hacker­an­grif­fe? „Die­se Sor­ge muss man ernst neh­men“, sagt Strasser:

„Die Sicher­heit braucht sicher größ­tes Augen­merk, die Angst vor Miss­brauch darf aber nicht zum Vor­wand wer­den, um die Digi­ta­li­sie­rung der Demo­kra­tie zu ver­zö­gern. Die weit­aus größ­te Zahl der bereits exis­tie­ren­den Pro­jek­te ist in die­ser Hin­sicht völ­lig unproblematisch.“

In den nächs­ten Jah­ren erwar­tet Edward Stras­ser jeden­falls einen wei­te­ren Schub in Rich­tung digi­ta­ler Partizipation: 

„Dafür sorgt allein schon die Tat­sa­che, dass die EU die Gel­der im Rah­men ihres Green Deals an Par­ti­zi­pa­ti­on gekop­pelt hat. Kli­ma­schutz-Initia­ti­ven sind nur för­de­rungs­wür­dig, wenn sie par­ti­zi­pa­ti­ve Ele­men­te ent­hal­ten. Dar­über hin­aus sehen wir, dass der Wunsch der Bürger:innen nach Mit­wir­kung immer wei­ter steigt. Die Wel­le hat erst begonnen.“


Die Krux mit den Umfragedaten

Autorin: Chris­ti­na Helf | 30. März 2022

Echtzeit-Daten gelten als Gamechanger der Umfragewelt. Das Berliner Umfrageinstitut Civey macht sich mit einer neuartigen Erhebungsmethode den Trend zunutze.

Daten sind das neue Gold der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­welt. Sie sind ein Schatz, den Orga­ni­sa­tio­nen bes­ser vor­ges­tern als heu­te erhe­ben soll­ten. Denn was ges­tern viel­leicht noch als “tren­dig” oder rich­tig galt, kann in weni­gen Stun­den schon “old news” sein. Kon­ven­tio­nel­le Umfra­ge­me­tho­den wie Tür zu Tür oder Tele­fon-Inter­views, die oft lan­ge dau­ern und teu­er sind, ste­hen daher zuneh­mend auf dem Prüf­stand. Die Krux liegt in der Schnel­lig­keit und Qua­li­tät der Daten­er­fas­sung. Das Ber­li­ner Unter­neh­men Civey mischt den Polit-Betrieb für Umfra­gen in Deutsch­land auf – mit einer neu­en Her­an­ge­hens­wei­se. Was macht es anders? Der Arbeits­kreis Digi­tal Public Affairs hat recherchiert!


Umfra­gen sind in den letz­ten Jah­ren immer mehr unter Ver­ruf gera­ten. Nicht nur, dass es immer schwie­ri­ger wird, die rich­ti­gen Men­schen zur Teil­nah­me zu bewe­gen – auch der Zeit­punkt und die Art der Erhe­bungs­me­tho­den wer­den ver­mehrt ange­zwei­felt. Gera­de vor Wah­len lagen Umfra­gen in der Ver­gan­gen­heit daher manch­mal kom­plett falsch. Zum Bei­spiel sag­ten fast alle Pro­gno­sen einen Sieg Hil­la­ry Clin­tons über Trump vor­aus – und lagen dane­ben. Fakt ist: Ob eine Daten­er­he­bung seri­ös ist, hängt neben der Anzahl der befrag­ten Per­so­nen von ver­schie­de­nen Fak­to­ren ab. Wähler_innen wer­den zudem kom­ple­xer, ihre Mei­nun­gen ändern sich schnel­ler und wer­den durch Kri­sen wie Pan­de­mien und Krie­ge stark beein­flusst. Soll­te auf Umfra­gen des­halb ver­zich­tet wer­den? Oder soll­ten sich die Metho­den für Umfra­gen ein­fach ändern? Das Unter­neh­men Civey hat sich zu Zwei­te­rem entschieden.

Stef­fen Braun, VP Sales und Part­ner bei Civey. Civey ist eine Wort­krea­ti­on und setzt sich aus „citi­zen und sur­vey“ zusammen.

Stef­fen Braun ist Part­ner und VP Sales bei Civey, einem Unter­neh­men für digi­ta­le Markt- und Mei­nungs­for­schung in Deutsch­land, das Daten fort­lau­fend online erhebt. Nach nur weni­gen Jah­ren ist das Ber­li­ner Unter­neh­men im Big Game der Umfra­ge­insti­tu­te ange­kom­men. Zu sei­nen Kun­den zäh­len poli­ti­sche Entscheider_innen eben­so wie Par­tei­en, Unter­neh­men oder Agen­tu­ren. Mit über 100 Mitarbeiter_innen lässt Civey sein Start­up-Image zumin­dest am Papier hin­ter sich. Die dis­rup­ti­ven Ideen sind geblieben:

Ein breites Mediennetzwerk als Multiplikator

In der Online-Dis­kus­si­ons­run­de mit dem Arbeits­kreis erklärt Stef­fen Braun, wie man bei Civey im Gegen­satz zu her­kömm­li­chen Insti­tu­ten mit Umfra­ge­da­ten arbei­tet: Die Panelis­ten wer­den über Umfra­gen auf Medi­en­platt­for­men rekru­tiert. Ihre Ant­wor­ten wer­den von Algo­rith­men reprä­sen­ta­tiv umge­rech­net und in Echt­zeit an die User_innen aus­ge­spielt. Dafür hat Civey ein gro­ßes Netz­werk von Medi­en­part­nern zur Ver­fü­gung, über die es Umfra­gen ver­öf­fent­licht. Dar­un­ter fal­len Platt­for­men wie der Spie­gel, t‑online, das Han­dels­blatt, Focus online und Spe­cial Inte­rest Medi­en. Der Vor­teil: Civey plat­ziert sei­ne Fra­gen orga­nisch an den Stel­len, an denen sich Men­schen mit ähn­li­chen Inter­es­sen tummeln.

Ein ausgeklügeltes Anreizsystem

Rund eine Mil­li­on veri­fi­zier­te Men­schen zäh­len zum Panel von Civey, die monat­lich zu den unter­schied­lichs­ten The­men bei Civey abstim­men. Dass so vie­le Men­schen mit­ma­chen, liegt an sei­nem aus­ge­klü­gel­ten Anreiz­sys­tem. Denn für jede Beant­wor­tung erhal­ten die Teilnehmer_innen eine unmit­tel­ba­re Beloh­nung in Form eines reprä­sen­ta­ti­ven Gesamt­ergeb­nis­ses. Damit schlägt Civey sei­ne Kon­kur­renz nicht nur in Sachen Geschwin­dig­keit bei der Aus­spie­lung der Daten, son­dern v.a. bei der Reich­wei­te. Denn das gro­ße Pro­blem bei Umfra­gen liegt dar­in, dass Men­schen oft schlicht­weg die „Lust“ dazu fehlt, bei Umfra­gen mit­zu­ma­chen – egal, ob per Tele­fon, auf der Stra­ße oder online.

Die Beloh­nung sei von Anfang an eine zen­tra­le Erfolgs­zu­tat des Pro­jekts gewe­sen, erklärt Stef­fen Braun. Ob es funk­tio­nie­ren wür­de, war nicht gleich klar. Über die Jah­re per­fek­tio­nier­te das Team bei Civey die Metho­dik: Wich­tig sei, dass kei­ne 25 Fra­gen zu einem The­ma gestellt wer­den, son­dern dass sich die­se durch­mi­schen, um das Inter­es­se des Teil­neh­men­den nicht zu rasch zu ver­lie­ren und gleich­zei­tig auch sta­tis­tisch not­wen­di­ge Schrit­te zu gehen.

Gra­fik: Bei­spiel einer Civey-Umfra­ge zur Zufrie­den­heit der Deut­schen mit dem Koali­ti­ons­ver­trag der Ampel­ko­ali­ti­on. Mehr dazu hier.

Transparenz schafft Vertrauen

Ein wei­te­res Unter­schei­dungs­merk­mal von Civey liegt in der Trans­pa­renz. Jedes Ergeb­nis von Civey ist offen zugäng­lich. Besucher_innen der Medi­en-Web­sei­ten bekom­men im Anschluss das Ergeb­nis gleich ange­zeigt. Neben der eigent­li­chen Umfra­ge wer­den im ers­ten Schritt Zusatz­da­ten wie Alter, Geschlecht und Post­leit­zahl abge­fragt. Außer­dem wer­den meh­re­re Umfra­gen in Fol­ge durch­ge­führt. Die Algo­rith­men veri­fi­zie­ren in einem län­ge­ren Pro­zess die Teil­neh­men­den. Nur deren Ant­wor­ten flie­ßen in die quo­tier­ten Stich­pro­ben ein, die im Anschluss noch nach­ge­wich­tet wer­den. Die Teil­neh­mer an den Umfra­gen sehen somit sofort das reprä­sen­ta­ti­ve Ergeb­nis. Damit trimmt sich das Unter­neh­men selbst von Beginn an hin, rich­tig zu lie­gen. „Trans­pa­renz ist uns wich­tig für die Nut­zer und zwingt uns auch, unse­re Arbeit gut zu machen“, betont Stef­fen Braun. Den berühm­ten „Gift­schrank“, wo jene Ergeb­nis­se hin­ein­wan­dern, die dem Kun­den „nicht gefal­len“, gibt es durch die Trans­pa­renz bei Civey nicht mehr. Damit will Civey auch sei­nen Bei­trag leis­ten, den ange­schla­ge­nen Ruf von Umfra­gen zu reha­bi­li­tie­ren und Ver­trau­en zurückzugewinnen.

Frage der Repräsentativität

Beson­ders in den Anfangs­jah­ren war Civey aber auch mit Kri­tik zur Reprä­sen­ta­ti­vi­tät sei­ner Ergeb­nis­se kon­fron­tiert. Stef­fen Braun erklärt: 

„Jede Befra­gungs­form erreicht man­che Grup­pen bes­ser als ande­re. Wir bei Civey errei­chen sicher nicht die Gesamt­be­völ­ke­rung. Das ist mit Tele­fon­um­fra­gen oder Face to Face auch nicht mög­lich. Aber die Inter­net­nut­zung liegt in Deutsch­land bei über 95 Pro­zent. Wir wis­sen daher sehr gut, wen wir errei­chen, wir ken­nen unse­re Verzerrungen.“

In Zukunft möch­te Civey sei­ne neu­ar­ti­ge Umfra­ge­me­tho­de auch Kun­den im Aus­land zugäng­lich machen. Die Expan­si­on in den EU-Big5 Raum oder den DACH-Raum sei in naher Zukunft geplant.

Wir sind freu­dig gespannt!


Informiert sein, Mitreden, Interessen geltend machen – aber alles digital

Autor: Wal­ter Osz­to­vics | 10.12.2021

Demokratische Mitwirkung erfordert Information. Diese Information ist eine Bringschuld der Politik und zugleich eine wichtige Voraussetzung, damit Partizipation, Interessenvertretung und schließlich Lobbying fair und transparent möglich werden. Digitale Tools können in diesem Feld eine wichtige Rolle spielen und auf vielfältige Weise dazu beitragen, dass ein informierter und zugleich breiter Diskurs um politische Fragen möglich ist.

Zu die­sem Ergeb­nis kam eine Dis­kus­si­ons­run­de auf der Platt­form Sta­ke­da­te zum The­ma „Infor­ma­ti­on & Demo­kra­tie – die Chan­cen der Digi­ta­li­sie­rung von Public Affairs“. Sta­ke­da­te-Mit­grün­der Theo Koch dis­ku­tier­te mit den Public-Affairs-Exper­ten Andre­as Kovar (Kovar & Part­ners) und Lisa Hen­ho­fer (Wien Ener­gie) sowie mit der Natio­nal­rats­ab­ge­ord­ne­ten Ewa Ernst-Dzied­zic (Grü­ne).

Showcase 1: Stakedate

Theo Koch hat gemein­sam mit Part­nern die Platt­form Sta­ke­da­te unter ande­rem des­halb gegrün­det, weil sich wäh­rend des ers­ten Coro­na-Lock­downs gezeigt hat­te, dass in einer Zeit der weit fort­ge­schrit­te­nen Digi­ta­li­sie­rung aus­ge­rech­net die Poli­tik das Inter­net noch nicht wirk­lich als Ort des demo­kra­ti­schen Dis­kur­ses ent­deckt hat. 

„Wir sahen den Bedarf nach einer Platt­form, auf der sich Stake­hol­der über ihre Anlie­gen, ihre Posi­tio­nen und For­de­run­gen zu anste­hen­den poli­ti­schen Vor­ha­ben aus­tau­schen können.“

Anfangs war Sta­ke­da­te ein Video­call mit ange­schlos­se­nen Speed-Date-Net­work-Funk­ti­on. Es soll­te ein Tool sein, wo im Lock­down trotz Kon­takt­ver­bots und Social Distancing die Public Affairs Arbeit in gewis­sem Aus­maß wei­ter­ge­führt wer­den konnte. 

„Es hat sich aber schnell gezeigt, dass online wesent­lich mehr mög­lich ist, als nur eine Gesprächs­si­tua­ti­on vir­tu­ell abzubilden.“ 

Sehr schnell kamen Funk­tio­nen hin­zu, mit denen Doku­men­te hoch­ge­la­den wer­den konn­ten, also auch nach­hal­ti­ger und ver­tief­ter Dis­kurs über das eigent­li­che Gespräch hin­aus orga­ni­siert wer­den konn­te. In der nächs­ten Ent­wick­lungs­stu­fe wur­de Sta­ke­da­te zu einer Platt­form, die nach poli­ti­schen The­men orga­ni­siert ist. Wel­che The­men ver­tre­ten sind, hängt einer­seits von den Mit­glie­dern der Platt­form ab, die jeder­zeit einen Dis­kurs star­ten kön­nen, zum ande­ren greift das Sta­ke­da­te-Team auch selbst aktu­el­le The­men auf und lädt dazu sein, sich zu ihnen zu äußern. Der­zeit sind etwa The­men wie „Boden­ver­sie­ge­lung“, „Lebens­mit­tel­wer­bung an Kin­der“, „Gen­tech­nisch ver­än­der­te Pflan­zen“ oder „Lie­fer­ket­ten­ge­setz“ vertreten.

User kön­nen sich für belie­big vie­le The­men regis­trie­ren und wer­den dann über die wei­te­re Ent­wick­lung ihrer The­men auf Sta­ke­da­te regel­mä­ßig infor­miert. Und selbst­ver­ständ­lich kön­nen sie auch selbst Doku­men­te hochladen.

Das Inter­net führt zwangs­läu­fig zu einem höhe­ren Maß Trans­pa­renz, da alle Teil­neh­mer nament­lich ange­mel­det sein müs­sen. Sta­ke­da­te hat die­se Trans­pa­renz zu einem Prin­zip gemacht: Alle User, die sich für ein bestimm­tes The­ma regis­triert haben, wer­den für alle ande­ren offen­ge­legt. Wer an einem Dis­kurs­pro­zess teil­nimmt, weiß daher, wer noch aller aktiv oder pas­siv invol­viert ist.

Auf Sta­ke­da­te kann der Dia­log mit der Poli­tik sehr früh ein­set­zen, also nicht erst, wenn ein Minis­te­ri­al­ent­wurf eines Geset­zes vor­liegt. Über die­sen Kanal kön­nen auch Grup­pen, die nicht Teil des poli­ti­schen Estab­lish­ments sind, Agen­da Set­ting betrei­ben und The­men ori­gi­när in die poli­ti­sche Dis­kus­si­on einbringen.

Anfangs, erzähl­te Koch, herrsch­te Skep­sis bei den Stake­hol­dern, man war sich nicht sicher, ob Sta­ke­da­te einer poli­ti­schen Rich­tung zuge­ord­net wer­den kann. Erst als alle poli­ti­schen Par­tei­en auf der Platt­form ver­tre­ten waren, war der Damm gebro­chen. Und für die Zukunft hofft Koch: 

„Demo­kra­ti­sche Poli­tik soll ein Wett­be­werb der Ideen sein, aber für die­sen Wett­be­werb braucht es fai­re Aus­gangs­be­din­gun­gen, was den Kampf um die Auf­merk­sam­keit betrifft.“

Showcase 2: e‑Comitee

Andre­as Kovar prä­sen­tier­te ein völ­lig anders kon­zi­pier­tes Online-Dis­kus­si­ons-Tool, näm­lich e‑Comitee. Auf e‑Comitee kön­nen Tex­te hoch­ge­la­den und online dis­ku­tiert wer­den. Das kann in einer geschlos­se­nen Grup­pe von Ein­ge­la­de­nen gesche­hen, oder aber offen für jeder­mann und jede­frau. Dank einer Rei­he von Fea­tures ist es sehr ein­fach mög­lich, Tei­le eines hoch­ge­la­de­nen Tex­tes gezielt zu kom­men­tie­ren oder zu ergän­zen – die Kom­men­ta­re ste­hen dann ihrer­seits wie­der all­ge­mein zur Diskussion.

e‑Comitee erleich­tert es vor allem auch, am Ende einer Dis­kus­si­ons­pha­se die Ergeb­nis­se zusam­men­zu­fas­sen und aus­zu­wer­ten und eig­net sich daher sehr gut für deli­be­ra­ti­ve Pro­zes­se oder für Arbeits­grup­pen und Aus­schüs­se, die am Ende einen Bericht über ihre Arbeit ablie­fern wollen.

Die­se Form der E‑Partizipation hat eine Rei­he von Vor­tei­len. So kann eine gro­ße Grup­pe von Per­so­nen tat­säch­lich ein­be­zo­gen wer­den, die Qua­li­tät der Betei­li­gung steigt. Online wer­den Raum und Zeit in mehr­fa­cher Hin­sicht auf­ge­ho­ben. Man kann von über­all­her jeder­zeit Bei­trä­ge hoch­la­den oder kom­men­tie­ren. Man hat kei­ne Zeit­be­schrän­kung, woge­gen in rea­len Dis­kus­sio­nen die Rede­zeit stets beschränkt ist, es kom­men auch nicht immer alle zu Wort.

„Anders als in Live-Mee­tings kann ich mei­nen Bei­trag in aller Ruhe erstel­len, nach­den­ken, über­ar­bei­ten, redi­gie­ren. Ich lade ihn erst hoch, wenn ich sicher bin, dass ich mei­nen Input gut rüber­ge­bracht habe. Ich kann mei­nen Bei­trag auch nach­träg­lich ergän­zen, wenn mir noch etwas ein­fällt, wäh­rend bei Live-Mee­tings die Ideen, die mir beim Weg­ge­hen drau­ßen im Stie­gen­haus kom­men, ver­lo­ren sind.“

In der Pra­xis hat sich gezeigt, dass die größ­ten Stär­ken von e‑Comitee in der ers­ten Pha­se und in der Schluss­pha­se von län­ge­ren Online-Dis­kus­si­ons­pro­zes­sen lie­gen. Die Pha­se der ers­ten Ideen­fin­dung ver­läuft wesent­lich pro­duk­ti­ver, als das in Mee­tings der Fall wäre, wenn über eine oder zwei Wochen hin­weg Bei­trä­ge gesam­melt wer­den, die von Anfang an für alle sicht­bar sind und wo sich jeder inspi­rie­ren kann.

Am Ende wie­der­um, wenn es dar­um geht, die gro­ße Zahl an Bei­trä­gen und Kom­men­ta­ren aus­zu­wer­ten, machen es die Tools von E‑Comitee eben­falls deut­lich leich­ter, Kate­go­rien zu bil­den und The­men zusammenzufassen. 

„Dazwi­schen sind aller­dings sehr wohl Real Live Mee­tings sinn­voll, denn der per­sön­li­che Aus­tausch ist natür­lich inten­si­ver, wenn man sich trifft. Eine Kom­bi­na­ti­on von Online- und Off­line ist also die effek­tivs­te Form der Partizipation.“

Ähn­lich wie Sta­ke­da­te ent­stand auch e‑Comitee einer­seits aus den Anfor­de­run­gen der prak­ti­schen PA-Arbeit, ande­rer­seits aber aus dem Wunsch, digi­ta­le Instru­men­te zur Ver­bes­se­rung der demo­kra­ti­schen Mög­lich­kei­ten zu nut­zen. Vor allem bei der direk­ten Par­ti­zi­pa­ti­on gibt es in Öster­reich star­ke Defi­zi­te, befand Kovar. Zudem haben die Ent­wick­lun­gen der letz­ten Jah­re – Stich­wor­te Rechts­po­pu­lis­mus, Fake News, Spal­tung der Gesell­schaft – gezeigt, dass am Erhalt der demo­kra­ti­schen Kul­tur aktiv gear­bei­tet wer­den muss: 

„Jah­re­lang haben wir dis­ku­tiert, wie wir die Demo­kra­tie wei­ter­ent­wi­ckeln kön­nen. Heu­te reden wir statt­des­sen über die Ver­tei­di­gung der Demokratie.“

Showcase 3: Digital Public Affairs Wien Energie

Für Lisa Hen­ho­fer ist Trans­pa­renz eines der Schlüs­sel­kri­te­ri­en für einen gelin­gen­den demo­kra­ti­schen Dis­kurs. Hen­ho­fer betreut unter ande­rem jene Web­site von Wien Ener­gie, wo das Unter­neh­men über sei­ne poli­ti­schen Anlie­gen spricht und auch den Dia­log mit den Stake­hol­dern sucht. 

„Wir haben 2019 die ers­te digi­ta­le Public Affairs Platt­form in Öster­reich gestar­tet und sie seit­her sehr dyna­misch weiterentwickelt.“

War­um das Unter­neh­men den Schritt wag­te, offen im Inter­net über sei­ne poli­ti­schen Posi­tio­nen und die von ihm ver­folg­ten Inter­es­sen zu kom­mu­ni­zie­ren, begrün­det Hen­ho­fer mit drei Motiven:

  • Die Digi­ta­li­sie­rung ver­än­dert die Form der poli­ti­schen Kommunikation.
  • Es gibt ein stei­gen­des Infor­ma­ti­ons­be­dürf­nis in der Bevöl­ke­rung, was die Inter­es­sen­po­li­tik und die poli­ti­schen Posi­tio­nen von Unter­neh­men betrifft.
  • Die Kli­ma­de­bat­te ist in der Mit­te der Gesell­schaft ange­kom­men. Ener­gie­un­ter­neh­men sind hier beson­ders gefor­dert und müs­sen zu Fra­gen der Kli­ma­po­li­tik Stel­lung nehmen.

Inzwi­schen ent­hält die Public Affairs Web­sei­te von Wien Ener­gie eine Fül­le von Papie­ren zu den gro­ßen Ver­än­de­run­gen in den Berei­chen Wär­me, Strom oder EU-Kli­ma­po­li­tik. Alle The­men sind mit Per­so­nen ver­bun­den, die auch als Ansprech­per­so­nen fun­gie­ren und ihre Kon­takt­da­ten auf der Web­sei­te bekanntgeben.

„Wir nut­zen die Platt­form, um zu zei­gen, wo wir ste­hen und wel­che poli­ti­schen Rah­men­be­din­gun­gen wir ein­for­dern, damit wir die­se Zie­le errei­chen kön­nen. Es geht uns dar­über hin­aus aber auch dar­um, ein neu­es Image für Inter­es­sen­ver­tre­tung auf­zu­bau­en. Lob­by­ing hat kei­nen guten Ruf, aber wie wir zei­gen, kann Lob­by­ing auch offen, trans­pa­rent, für alle sicht­bar im Inter­net statt­fin­den. Lob­by­ing kann dia­log­ori­en­tiert und sach­lich sein.“

Die Sicht der Politik

Ewa Ernst-Dzied­zic hat vor eini­gen Jah­ren den Wie­ner Streit­club gegrün­det, weil ihr Debat­ten­kul­tur gene­rell ein Anlie­gen ist und sie eine offe­ne Dis­kus­si­ons­kul­tur in Öster­reich ver­misst. Als Abge­ord­ne­te der Grü­nen im Par­la­ment ist sie poli­ti­sche Insi­de­rin, steht also auf Sei­ten derer, die poli­ti­sche Beschlüs­se fas­sen oder mit­ent­schei­den. Sie ist daher überzeugt: 

„Wir müs­sen sowohl die for­ma­len Mög­lich­kei­ten der Par­ti­zi­pa­ti­on als auch die tat­säch­lich geleb­te Pra­xis weiterentwickeln.“ 

Denn der Anspruch der Bevöl­ke­rung wächst, zu wis­sen, war­um die gewähl­ten Ver­tre­ter bestimm­te Ent­schei­dun­gen treffen: 

„Wir Man­da­ta­re und Man­da­ta­rin­nen sind stär­ker gefor­dert, zu erklä­ren, was wir eigent­lich tun und wofür wir uns tat­säch­lich ein­set­zen, nicht nur in Wahl­re­den. Par­ti­zi­pa­ti­on kann nur dann erfolg­reich sein, wenn die Bürger:innen erle­ben, dass ihre Ideen und ihr Ein­satz auch ernst­ge­nom­men werden.“ 

Aus der Sicht der Poli­tik sind For­ma­te wie Sta­ke­da­te und e‑Comitee des­halb zu begrü­ßen, weil es ihnen gelingt, „den Ton und die Sach­lich­keit von Debat­ten rich­tig zu tref­fen, was ja die Social Media nicht schaf­fen“. Es muss ein Anlie­gen der Poli­tik sein, die Mög­lich­kei­ten der Digi­ta­li­sie­rung zu nut­zen, um mög­lichst vie­le Men­schen zu errei­chen, mein­te Ewa Ernst-Dziedzic: 

„Poli­tik darf nicht etwas sein, was im Hohen Haus hin­ter stau­bi­gen Wän­den statt­fin­det, aber nichts mehr mit der digi­ta­len Lebens­rea­li­tät der Men­schen zu tun hat.“


Amtsgeheimnis oder Informationsfreiheit?

Autor: Nico Stel­la | 30. Novem­ber 2021

Was das Informationsfreiheitsgesetz demokratiepolitisch und für Public Affairs Management bedeutet und warum die Umsetzung digitaltauglich sein muss.

Anfang des Monats wur­de im Ver­fas­sungs­aus­schuss über die Abschaf­fung des Amts­ge­heim­nis­ses und die Ver­an­ke­rung einer Infor­ma­ti­ons­pflicht dis­ku­tiert. Den bei­den dies­be­züg­li­chen Anträ­gen der Sozi­al­de­mo­kra­ten wur­de eine sel­te­ne Ehre zuteil: eine ‚durch­aus wert­schät­zen­de Ver­ta­gung‘ (sic: Abg. Chris­ti­an Sto­cker) durch die Regie­rungs­par­tei­en. Die zustän­di­ge Ver­fas­sungs­mi­nis­te­rin beto­ne zwar das Com­mit­ment der Regie­rung für die Umset­zung des Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­set­zes und ver­wies auf den Minis­te­ri­al­ent­wurf des Früh­jahrs, lies sich aber nicht zur Nen­nung eines Ter­mins für eine Regie­rungs­vor­la­ge hinreißen.

Nun erhielt der im Febru­ar von den Koali­ti­ons­part­nern als soli­der Kom­pro­miss gefei­er­te Ent­wurf in der Begut­ach­tungs­pha­se der Begut­ach­tungs­pha­se statt­li­che 189 Stel­lung­nah­men, die es zu beach­ten gilt. Die über­lan­ge Ver­zö­ge­rung lässt sich vor allem vor einem Umstand leicht erklä­ren – den star­ken Beden­ken der Bun­des­län­der und Gemein­den. Offi­zi­ell geht es dabei um Sor­gen vor dem erwart­bar grö­ße­ren Auf­wand für die Behör­den. Die Ver­mu­tung liegt nahe, dass in Wirk­lich­keit jedoch der stei­gen­de Recht­fer­ti­gungs­druck der Behör­den gegen­über dem Sou­ve­rän mit aus­schlag­ge­bend war. Gera­de die­sem Sou­ve­rän ­– den Bürger*innen – soll die­ses Gesetz über­haupt zugu­te­kom­men. Kon­kret ist ein Haupt­ge­sichts­punkt des Ent­wurfs: ‚Staat­li­ches Han­deln soll für jeder­mann wei­test­ge­hend trans­pa­rent gemacht (wer­den)‘, indem ‚staat­li­che Trans­pa­renz zur Regel und Geheim­hal­tung zur Aus­nah­me gemacht (wird)‘.


Digital = unbürokratisch?!

Das Trans­pa­renz­ver­lan­gen der Bürger*innen scheint sich in den letz­ten Jah­ren deut­lich ver­stärkt zu haben, nicht zuletzt, weil durch die Digi­ta­li­sie­rung nie­der­schwel­li­ge Zugän­ge zu Infor­ma­tio­nen zum Stan­dard gewor­den sind. Außer­dem ist sicher­lich auch das Bewusst­sein für Rech­te im digi­ta­len Raum (Stich­wor­te: Urhe­ber­recht & DSGVO) gestie­gen. Trans­pa­renz­an­for­de­run­gen sind für Unter­neh­men und teil­wei­se auch für Bürger*innen gestie­gen, in ande­ren Län­dern wird deut­lich offe­ner mit Infor­ma­tio­nen umge­gan­gen – nicht ver­wun­der­lich, dass auch die Österreicher*innen Ver­bes­se­run­gen ein­for­dern. Und nicht zuletzt ist auch allen klar, dass vor­han­de­ne Infor­ma­tio­nen auch unbü­ro­kra­tisch und für die Behör­de fast ohne Kos­ten und Auf­wand digi­tal bereit­ge­stellt wer­den kön­nen. Die Argu­men­te für die Zurück­hal­tung von Infor­ma­tio­nen und für die Geheim­hal­tung wer­den immer dünner.

Langer Weg der Informationsfreiheit

Die­se poli­ti­sche For­de­rung ist 2011 durch das Forum Infor­ma­ti­ons­frei­heit ver­stärkt in die poli­ti­sche Debat­te gekom­men. Wirk­lich heiß dis­ku­tiert wird die Initia­ti­ve seit 2013. In den Jah­ren dar­auf kam es auf­grund der lang­sam mah­len­den Müh­len der Innen­po­li­tik jedoch immer wie­der zu Ver­zö­ge­run­gen und Rück­schrit­ten. Erst bei den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen der ÖVP mit den Grü­nen im Jahr 2019 ist das The­ma erneut ganz oben auf die poli­ti­sche Agen­da gerückt: im Regie­rungs­pro­gramm. Das ist vor allem den Grü­nen zuzu­rech­nen, die neben Umwelt- und Kli­ma­schutz auch Trans­pa­renz und Kor­rup­ti­ons­be­kämp­fung als zen­tra­le Anlie­gen ver­tre­ten haben.

Wozu braucht es in Öster­reich über­haupt ein Gesetz, dass mehr Poli­tik- und Ver­wal­tungs­trans­pa­renz bringt? Das Recht auf umfas­sen­de Infor­ma­ti­ons­frei­heit gegen­über dem Staat ist ein Men­schen­recht, bestä­tig­te ein Urteil des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rech­te aus dem Jahr 2013. Wäh­rend bei den meis­ten ande­ren EU-Part­nern das Grund­recht auf Infor­ma­ti­on in den jewei­li­gen Ver­fas­sun­gen ver­an­kert ist, hat Öster­reich jedoch das Amts­ge­heim­nis im Ver­fas­sungs­rang. Somit sind ein Gut­teil der Hand­lun­gen der Ver­wal­tung für die Bürger*innen intrans­pa­rent und der Kon­trol­le der Öffent­lich­keit ent­zo­gen. Im jähr­li­chen “Right To Information”-Rating der NGOs Access Info Euro­pe (AIE) und Cent­re for Law and Demo­cra­cy (CLD) belegt Öster­reich – gemein­sam mit dem Insel­staat Palau – den unrühm­li­chen letz­ten Rang (von inzwi­schen 128 Staa­ten). Demo­kra­tie­po­li­tisch besteht also Hand­lungs­be­darf – auch um das Men­schen­recht der Infor­ma­ti­ons­frei­heit zu verankern.


Weniger Blackboxen – gut für Public Affairs-Profis

Auch wenn das natür­lich kein dezi­dier­tes Ziel des Infor­ma­ti­ons­frei­heits­ge­set­zes ist, die Public Affairs Bran­che wird von grö­ße­rer Infor­ma­ti­ons­frei­heit pro­fi­tie­ren. Je offe­ner und trans­pa­ren­ter Poli­tik und Ver­wal­tung ihre Ent­schei­dun­gen tref­fen, des­to bes­ser las­sen sich die dahin­ter lie­gen­den Ent­schei­dungs­pro­zes­se ana­ly­sie­ren und aus­wer­ten. Gera­de wenn Infor­ma­tio­nen digi­tal bereit­ge­stellt wer­den, wird die Arbeits­grund­la­ge im Public Affairs Manage­ment noch breiter.

Public Affairs Manager*innen als pro­fes­sio­nel­le Interessensvertreter*innen sind es gewohnt, Infor­ma­tio­nen aus dem poli­ti­schen Umfeld zu struk­tu­rie­ren und zu bewer­ten. Ein mehr an Infor­ma­ti­on, ein nie­der­schwel­li­ger digi­ta­ler Zugang dazu und genaue­re Kennt­nis der Ent­schei­dungs­grund­la­gen wer­den daher zu einer wei­te­ren Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Bran­che füh­ren. Die Argu­men­te hin­ter Ent­schei­dun­gen sind für Public Affairs Manager*innen eben­so inter­es­sant wie die beauf­trag­ten Experten*innen und Gutachter*innen. Das Amts­ge­heim­nis hat Black­bo­xen geschaf­fen, die durch die geplan­te Novel­le auf­ge­bro­chen wer­den könnten.

Was nun zu erwarten ist

In einem föde­ra­lis­ti­schen Staat wie Öster­reich macht das aber nur Sinn, wenn nicht nur die Bun­des­ver­wal­tung erfasst ist, son­dern auch die wei­te­ren Gebiets­kör­per­schaf­ten. Mit den nun ange­setz­ten wei­te­ren Verhandlungen/Gesprächen zum Begut­ach­tungs­ent­wurf mit den Bun­des­län­dern und Gemein­den steht die Bun­des­re­gie­rung jeden­falls vor einer Sisy­phus­ar­beit. Die Viel­zahl an Beden­ken und Par­ti­ku­lar-Wider­stän­den dort machen einen gro­ßen Wurf unwahr­schein­lich. Auf die poli­ti­sche Lage – geprägt von Insta­bi­li­tät, Kor­rup­ti­ons­skan­da­len und Ver­trau­ens­ver­lust – bli­ckend hat der Öster­reich Trans­pa­renz und Offen­heit so drin­gend nötig wie noch nie.


Nico Stel­la ist Seni­or Con­sul­tant bei Mas­ter­mind Public Affairs Con­sul­ting und Mit­glied des Arbeits­krei­ses Digi­tal Public Affairs in der ÖPAV.

Clubhouse ist tot, aber Social Audio-Streaming lebt.

Autor: Joa­chim Kurz | 06. August 2021

In den letzten Wochen hörte man wieder einmal etwas von Clubhouse. Clubhouse? Ja genau. Die Social Audio-App, die im Jänner 2021 einen kleinen Hype in der polit-medialen Bubble auslöste, nur um wenige Wochen später schon wieder totgesagt zu werden.

Zum einen sorg­ten die Mel­dun­gen über ein mög­li­ches Daten­leck für Auf­se­hen. Zum ande­ren ver­kün­de­te Club­house eini­ge tech­ni­sche Neue­run­gen. Die App ist nun end­lich auch für Android-Gerä­te ver­füg­bar und Invi­tes nicht mehr nötig. Die­se anfäng­lich ver­knap­pen­de Exklu­si­vi­tät ist also vor­bei. Zudem sind nun Direkt­nach­rich­ten mög­lich und an einer Pay­ment-Funk­ti­on wird gear­bei­tet. Und auch Twit­ter (Spaces), Face­book (Live Audio Rooms) und Spo­ti­fy (Green­room) brach­ten zuletzt ihre eige­nen Social Audio-Ange­bo­te an den Start.

Aber abseits davon stellt sich die Fra­ge: Inter­es­sie­ren Social Audio-Apps über­haupt noch irgend­je­man­den? Und war der Hype nur ein eigen­ar­ti­ges Zusam­men­wir­ken von Lock­down-Mad­ness, blin­dem Tech­no­lo­gie-Wahn und einer Polit-Bubble auf der Suche nach Ori­en­tie­rung im Umgang mit neu­en Tools?

Wunderwaffe Clubhouse? Eine Bubble und ihr Hype.

Im schier end­lo­sen Lock­down-Win­ter waren per­sön­li­che Auf­ein­an­der­tref­fen schon seit Mona­ten nur mehr ein­ge­schränkt und seit Wochen gar nicht mehr mög­lich. Der poli­ti­sche Betrieb fand nur noch digi­tal statt. Die Sub­sti­tu­ti­on durch sozia­le Medi­en wie Twit­ter oder Face­book war und ist für die meis­ten unbe­frie­di­gend und mach­te die Sehn­sucht nach etwas Ech­tem, Bedeu­tungs­vol­len und Rea­len nur grö­ßer – auch durch die immer gif­ti­ge­re Stim­mung rund um COVID-The­men auf die­sen Netzwerken.

Neben die­ser Art Lock­down-Müdig­keit brach­ten ins­be­son­de­re zwei Fak­to­ren gera­den den polit-media­len Seis­mo­gra­fen zum Aus­schla­gen. Zum einen waren es schlicht die hoch­ka­rä­ti­gen und unge­zwun­ge­nen Gesprächs­run­den zu Beginn. Chris­ti­an Lin­der war einer der ers­ten bekann­ten Poli­ti­ker auf Club­house. Und der „Can­dy-Crush-Skan­dal“ durch Bodo Rame­low weck­te ver­bor­ge­ne Sehn­süch­te bei Journalist:innen und Berater:innen: nah dran zu sein und unge­fil­tert Infor­ma­tio­nen zu bekom­men. War­um soll­te das nicht auch in die öster­rei­chi­sche Polit-Sze­ne über­schwap­pen? Club­house könn­te der Inno­va­ti­ons­sprung sein, den vie­le seit der Ein­füh­rung des Pres­se­foy­ers durch Bun­des­kanz­ler Bru­no Krei­sky ersehnen.

Zum ande­ren stürz­te sich der polit-media­le Betrieb des­halb so sehr auf Club­house, weil nie­mand die Gele­gen­heit – oder zumin­dest die Chan­ce einer Mög­lich­keit – ver­pas­sen woll­te, früh bei einem womög­lich prä­gen­den sozia­len Medi­um dabei zu sein. Das Bei­spiel von Armin Wolf auf Twit­ter zeigt, wel­che Mög­lich­kei­ten im frü­hen Erken­nen und Beset­zen sol­cher Tools lie­gen.1

Kurz­um:  Der Fan­ta­sie der Bubble war eigent­lich kei­ne Gren­ze gesetzt. Der Hype war losgetreten. 

Clubhouse ist tot. Aber Social Audio-Streaming ist einen Blick wert 

Nut­zungs­zah­len sind für ein­zel­ne Län­der nicht bekannt. Club­house selbst spricht von zehn Mil­lio­nen User:innen bzw. einer hal­ben Mil­li­on „Räu­men“ pro Tag (welt­weit) und einer Unter­neh­mens­be­wer­tung von  4 Mil­li­ar­den Dol­lar. So oder so – medi­al ist es in Öster­reich still gewor­den um die Social Audio-App. Und auch in per­sön­li­chen Gesprä­chen ist Club­house kein The­ma mehr. Club­house, da war doch was? 

Wenn man sich aber vom Namen Club­house etwas löst, erkennt man durch­aus Poten­zi­al von Social Audio-Strea­ming für Public Affairs (und die poli­ti­sche Kommunikation).

Zum einen erwei­tert allein schon die tech­nisch nie­der­schwel­li­ge Mög­lich­keit des Live Audio-Strea­mings den Instru­men­ten­kas­ten. Die klas­si­sche Pho­ne-In-Sen­dung im Radio funk­tio­niert noch immer. War­um soll­te das auf einer Han­dy-App nicht funk­tio­nie­ren – mit einer ande­ren Ziel­grup­pe, auf mobi­len End­ge­rä­ten und weni­ger Bar­rie­ren? Goog­le Han­gouts oder Face­book-Live-Events waren schon in ver­gan­ge­nen Wahl­kam­pa­gnen im Ein­satz. So wäre es doch auch loh­nens­wert, statt dem 20. Bier­zelt­be­such oder der gefühlt 500. TV-Debat­te im Stu­dio ein­mal eine Hör-Dis­kus­si­on direkt mit den eige­nen Wahlkämpfer:innen oder Wähler:innen zu füh­ren? Eine Audio-Dis­kus­si­on nach einer Begut­ach­tungs­pha­se eines Geset­zes­vor­schlag wür­de die Schwel­le für den/die Otto-Normalbürger:innen sen­ken, sich mit der Fül­le an Vor­schlä­gen aus­ein­an­der­zu­set­zen. Die Debat­ten-Kul­tur wür­de belebt werden.

Ande­rer­seits eröff­net es neue Mög­lich­kei­ten im Com­mu­ni­ty-Buil­ding. Erfolg­rei­che Pod­casts (oder ande­re rei­ne Sen­dungs-For­ma­te) haben die Not­wen­dig­keit erkannt, ihre Hörer:innen ein­zu­be­zie­hen. Meist pas­siert das durch beglei­ten­de Social Media-Inter­ak­ti­on, die aber zusätz­lich betrie­ben wer­den muss. Durch die Audio-Ange­bo­te auf gro­ßen Social Media Platt­for­men kann man sogar eine bestehen­de Com­mu­ni­ty ein­bin­den. Im Con­su­mer-Mar­ke­ting wer­den Gewinn­spie­le, Foto-Chal­lenges oder Pro­dukt­fra­gen ein­ge­setzt, um Kund:innenbindung zu erzeu­gen. In der poli­ti­schen Arbeit (in allen sei­nen Dimen­sio­nen) geht es um noch mehr. Es geht um Ver­trau­en. Die­ses wird noch immer am bes­ten durch den per­sön­li­chen Aus­tausch auf­ge­baut. Sich stimm­lich zu hören, schafft Nähe und Verbindlichkeit.

Nicht das Tool, sondern der strategische Einsatz

Sind also Social Audio-Apps ein abso­lu­tes Muss für Public Affairs und Poli­tik? Nein, natür­lich nicht. Wie jedes ande­re digi­ta­le Tool sind sie kein Wun­der­werk­zeug für alles. Vie­le Fra­gen sind noch unge­klärt (z.B. wel­cher Grad an Mode­ra­ti­on ist not­wen­dig und sinn­voll?) und die nütz­li­chen Ein­satz­wei­sen müs­sen sich erst eta­blie­ren. Aber eine gute Public Affairs-Stra­te­gie hat Social Audio-Strea­ming ab sofort im Instru­men­ten­kas­ten und kann es ein­set­zen. Genau das ist das Wesen von Digi­tal Public Affairs: digi­ta­le Tools sind kein Selbst­zweck, son­dern erwei­tern den stra­te­gi­schen Handlungsspielraum. 

Social Audio-Strea­ming hat also Poten­zi­al, auch wenn es nicht der Name Club­house sein sollte.

1 Der ORF-Anchor­man war früh auf die­ser neu­en Platt­form und trat aktiv in den Dia­log mit einer damals noch sehr über­schau­ba­ren, aber mei­nungs­bil­den­den Com­mu­ni­ty.  Seit Jah­ren ist er mit 492.000 Fol­lower der öster­rei­chi­sche “Influen­cer” auf Twit­ter (sie­he OTS Twit­ter­list).

Foto­credits: Mar­co Verch / Crea­tiv Com­mons Lizenz


Joa­chim Kurz ist Asso­cia­te Direc­tor bei 365 Sher­pas und lei­tet den Arbeits­kreis Digi­tal Public Affairs in der ÖPAV.

Online ist keine Compliance-freie Zone

Autor: Feri Thier­ry & Mar­ti­na Friedl | 08. Juli 2021

Essenseinladungen, Druckkostenbeiträge und Geschenke waren Fragen, mit denen wir uns früher rechtlich auseinandersetzen mussten. Heute ist die Public Affairs-Arbeit erfreulicherweise auch in der Breite der Branche professioneller geworden. Ethikstandards und rechtliche Bestimmungen haben für mehr Klarheit und Qualität gesorgt. Compliance, also das „Verhalten in Übereinstimmung mit und das Einhalten von rechtlichen sowie regulativen Vorgaben“, ist heute etablierter Standard in den meisten Organisationen und insbesondere in der Interessenvertretung von Unternehmen, Verbänden und NGOs. Und das hilft, Rechtssicherheit zu schaffen, verantwortungsvoll zu agieren und mögliche Risiken zu minimieren.

In den letz­ten Jah­ren deut­lich an Bedeu­tung gewon­nen hat der Online-Bereich: Zum einen wur­den spä­tes­tens mit der Coro­na-Pan­de­mie Video­calls zu einem selbst­ver­ständ­li­chen Teil des Dia­logs mit poli­ti­schen Stake­hol­dern, zum ande­ren spie­len Sozia­le Medi­en eine pro­mi­nen­te­re Rol­le in der Kom­mu­ni­ka­ti­on von Posi­tio­nen und Anlie­gen. Fra­gen der Ver­trau­lich­keit, des Daten­schut­zes, der Trans­pa­renz haben dadurch an Bedeu­tung gewon­nen. Glei­cher­ma­ßen wie in der rea­len Welt gilt auch hier, gesetz­li­che Vor­ga­ben und ethi­sche Stan­dards ein­zu­hal­ten. Die wich­tigs­ten Anwen­dungs­be­rei­che wol­len wir hier skizzieren:

Datenschutz

Die Daten­schutz­grund­ver­ord­nung (DSGVO) ist ins­be­son­de­re für den Ein­satz von E‑Mail-News­let­tern zu beach­ten. Den­ken Sie dar­an, beim Ver­sand von Mails an meh­re­re Per­so­nen gleich­zei­tig, die Mail-Adres­sen in das Feld für Blind­ko­pie (bcc) zu set­zen, um die Kon­takt­da­ten der Empfänger:innen nicht öffent­lich zu machen. Der Unter­schied, ob die Nach­rich­ten per E‑Mail oder als News­let­ter über einen Dritt­an­bie­ter ver­sen­det wer­den, liegt u.a. dar­in, dass man mit dem Dritt­an­bie­ter einen Auf­trags­ver­ar­bei­ter­ver­trag abschlie­ßen muss, und die Ein­hal­tung der DSGVO durch den Drit­ten sicher­ge­stellt wer­den muss. Die Zusen­dung von Wer­be­mails oder ‑inhal­ten wird auch wei­ter­hin in § 107  Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­setz (TKG) geregelt.

Digitale Partizipation

Digi­ta­le Anwen­dun­gen eröff­nen neue Chan­cen, Posi­tio­nen und Anlie­gen in den poli­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zess ein­zu­brin­gen. Begut­ach­tungs­ver­fah­ren von Geset­zes­ent­wür­fen wer­den auf der Web­site des Par­la­ments abge­bil­det und bie­ten die Mög­lich­keit, schrift­li­che Stel­lung­nah­men abzu­ge­ben. Den Link zum dafür vor­ge­se­he­nen For­mu­lar fin­den Sie am Ende des jewei­li­gen Begut­ach­tungs­tex­tes. Damit bie­tet der Gesetz­ge­ber einen nie­der­schwel­li­ge Zugang zum demo­kra­ti­schen Pro­zess und erleich­tert die Arbeit von Interessenvertreter:innen.

Virtuelle Stakeholdergespräche

Video­kon­fe­renz-Tools haben sich zu einem Stan­dard für Stake­hol­der­ge­sprä­che ent­wi­ckelt und wer­den es neben dem per­sön­li­chen Gespräch auch blei­ben. Bei der Aus­wahl des Tools sind Daten­schutz­re­geln beson­ders rele­vant. Beach­ten Sie, dass kei­ne sen­si­blen oder per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten über ein Video­kon­fe­renz-Tool aus­ge­tauscht wer­den. Eine Auf­zeich­nung der Gesprä­che (und auch die Wider­ga­be in sozia­len Medi­en) darf nur mit vor­he­ri­ger Ein­wil­li­gung aller Betei­lig­ten erfol­gen. Schüt­zen Sie Ihre Video-Kon­fe­ren­zen mit Pass­wör­tern oder sons­ti­gen Zugangs­be­schrän­kun­gen, die nur Ihren Gesprächs­part­nern bekannt gege­ben werden.

Sichere Online-Events

Beson­ders sen­si­bel sind Online-Events, die häu­fig sehr offen gehal­ten und somit einer grö­ße­ren Öffent­lich­keit zugäng­lich sind. Die Tat­sa­che, dass ich mein Publi­kum nicht real sehe, kann zur Situa­ti­on ver­lei­ten, „frei spre­chen“ zu kön­nen. Dabei sind Online-Events leich­ter mit­zu­schnei­den und damit jede Aus­sa­ge auch ein­fa­cher zu doku­men­tie­ren. Es soll­te auch hier – wie bei jedem Gespräch mit poli­ti­schen Entscheidungsträger:innen – der Grund­satz gel­ten: Sagen Sie nur das, was Sie auch am nächs­ten Tag in der Zei­tung (oder in ver­öf­fent­lich­ten Han­dy-Chat-Pro­to­kol­len) lesen wol­len würden.

Eine Beson­der­heit der Online­welt ist, dass die Urhe­ber­schaft von Con­tent oder Initia­ti­ven teil­wei­se schwe­rer nach­zu­voll­zie­hen ist. Das zei­gen Social Media-Accounts oder ‑Kam­pa­gnen, deren Hin­ter­grün­de nicht immer erkenn­bar sind. Tech­nisch ist die Urhe­ber­schaft dafür leich­ter nach­voll­zieh­bar, weil IP-Adres­sen rück­ver­folg­bar sind. Und das neue Kom­mu­ni­ka­ti­ons­platt­for­men­ge­setz wid­met sich auch die­sem Thema.

Responsible Lobbying

Dar­über hin­aus soll­ten Sie immer beden­ken: Es ist nicht immer legi­tim, was gesetz­lich erlaubt ist. Hier beginnt „Respon­si­ble Lob­by­ing“. Kodi­ces wie jener der Öster­rei­chi­schen Public Affairs-Ver­ei­ni­gung (ÖPAV) oder der Deut­schen Gesell­schaft für Poli­tik­be­ra­tung (dege­pol) geben Richt­li­ni­en vor, die über das gesetz­lich Vor­ge­schrie­be­ne hin­aus­ge­hen. Ver­ant­wor­tung bedeu­tet, die­se Richt­li­ni­en zu leben. Denn mehr Inte­gri­tät in poli­ti­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­sen stärkt das Ver­trau­en in die Poli­tik – und das ist wie­der­um die Basis für eine sta­bi­le und wehr­haf­te Demokratie.

Buch­tipp: „Com­pli­ance in Public Affairs”; Friedl/Kindl/Krakow/Thierry; Novem­ber 2012, Lexis­Ne­xis ARD ORAC

Mag. Mar­ti­na Friedl ist seit Schülervertreter:innen-Tagen im poli­ti­schen Sozio­top aktiv. Die Juris­tin und Absol­ven­tin des Mas­ter­stu­di­ums „Ethi­sches Manage­ment“ setzt ihren Fokus auf Com­pli­ance-The­men. Sie ist ehe­ma­li­ges Vor­stands­mit­glied der Öster­rei­chi­schen Public Affairs-Ver­ei­ni­gung (ÖPAV) und Co-Autorin des Fach­buchs „Com­pli­ance in Public Affairs“. Heu­te arbei­tet sie als Head of Legal and Public Affairs bei Deep Natu­re Project. 

Feri Thier­ry hat über 30 Jah­re Erfah­rung mit poli­ti­schen Pro­zes­sen und ist Spe­zia­list für Public Affairs und Poli­ti­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on. Er ist Co-Autor des Fach­buchs „Com­pli­ance in Public Affairs“, Her­aus­ge­ber des Sam­mel­bands „Poli­tik­be­ra­tung in Öster­reich“ und war Grün­dungs­prä­si­dent der Öster­rei­chi­schen Public Affairs-Ver­ei­ni­gung (ÖPAV). Er ist heu­te als Mana­ging Part­ner von 365 Sher­pas Con­sul­ting tätig.

Grayling-Analyse: Wer postet, regiert

Autor: Moritz Arnold | 21. Juni 2021

Social Media wird auch für die politische Kommunikation immer wichtiger. Das zeigt eine Untersuchung der Beratungsagentur Grayling, die das Nutzungsverhalten von Politiker*innen aus ganz Europa analysiert hat. Moritz Arnold, Senior Director von Grayling Austria, beschreibt in seinem Beitrag, welchen Einfluss Land, Geschlecht, Alter und politische Ausrichtung auf die Kommunikation in sozialen Medien haben – und wie Österreich im europäischen Vergleich abschneidet.

Gray­ling führ­te die Stu­die gemein­sam mit dem Social-Media-Intel­li­gence-Unter­neh­men Link­fluence durch. Dabei wur­den fast 3 Mil­lio­nen Bei­trä­ge ana­ly­siert, die von Abge­ord­ne­ten aus 17 euro­päi­schen Län­dern sowie dem Euro­päi­schen Par­la­ment auf Twit­ter, Face­book und Insta­gram gepos­tet wurden.

Die wichtigsten Ergebnisse:

  1. Die öster­rei­chi­schen Par­la­men­ta­ri­er lie­gen mit durch­schnitt­lich 296 Bei­trä­gen auf Social Media im euro­päi­schen Mit­tel­feld. Die Par­la­ments­ab­ge­ord­ne­ten aus Spa­ni­en, Polen sowie Deutsch­land sowie die Grup­pe der MEPs (Mem­bers of Euro­pean Par­lia­ment) pos­ten am häufigsten.
  2. Face­book ist in Öster­reich die Num­mer 1 Platt­form gefolgt von Twit­ter und Insta­gram. Euro­pa­weit ist Twit­ter der Kanal der Wahl.
  3. Die Enga­ge­ment-Raten sind bei Politiker*innen wesent­lich höher als bei Influencer*innen oder Mar­ken, wie Bench­mark-Ver­glei­che zeigen.
  4. Abge­ord­ne­te des rech­ten poli­ti­schen Spek­trums sind auf Social Media über­pro­por­tio­nal aktiv.
  5. Par­la­men­ta­ri­er aus der „Boomer“-Generation sind die aktivs­te Alters­grup­pe auf den ana­ly­sier­ten Kanälen.

Social Media-Nutzung in der Bevölkerung

Die all­ge­mei­ne Social Media-Nut­zung vari­iert in den 17 ana­ly­sier­ten euro­päi­schen Län­dern enorm. Wäh­rend in Schwe­den 82 % der Bevöl­ke­rung sozia­le Kanä­le nut­zen, sind es in Ser­bi­en nur knapp 53 %. Und so unter­schei­den sich auch die Akti­vi­tä­ten der Parlamentarier*innen pro Land mas­siv: 690 Pos­tings pro Parlamentarier*in gab es in den ‚Cor­tes Gene­ra­les‘, dem spa­ni­schen Par­la­ment – damit sind die Spanier*innen abso­lu­te Spitzenreiter*innen. Dem gegen­über ste­hen die bul­ga­ri­schen Abge­ord­ne­ten, die es auf durch­schnitt­lich 24 Pos­tings bringen.

Abgeordnete nutzen Plattformen anders als ihre Wähler*innen

In allen 17 Län­dern – mit einer Aus­nah­me – ist Face­book inner­halb der Bevöl­ke­rung die belieb­tes­te der drei ana­ly­sier­ten Platt­for­men, Insta­gram liegt an zwei­ter und Twit­ter an drit­ter Stel­le. Die Aus­nah­me ist Russ­land – im „VKon­tak­te-Land“ liegt Insta­gram an ers­ter Stel­le, gefolgt von Face­book und Twitter.

Bei den Abge­ord­ne­ten hin­ge­gen liegt Twit­ter (67 % der Inhal­te) an der Spit­ze, gefolgt von Face­book (28 %) und Insta­gram (5 %).

Dass Twit­ter die belieb­tes­te Social-Media-Platt­form unter Politiker*innen ist, kommt nicht über­ra­schend. Die Ergeb­nis­se ver­deut­li­chen aber die Viel­falt und die Län­der­be­son­der­hei­ten, die es in Euro­pa gibt. Es gibt eini­ge loka­le Aus­nah­men und sogar zwi­schen Nach­bar­län­dern kla­re Unterschiede.

Bei den Natio­nal­rats-Abge­ord­ne­ten in Öster­reich ist bei­spiels­wei­se Face­book mit 88 % der Num­mer 1 Kanal.

Um loka­le Dyna­mi­ken zu ver­ste­hen, ist es für Unter­neh­men daher uner­läss­lich, mit Expert*innen in den jewei­li­gen Ziel­märk­ten zusam­men­zu­ar­bei­ten. Eine Kam­pa­gne für meh­re­re Märk­te ohne loka­le Anpas­sun­gen soll­te pas­sé sein.

Abgeordnete sind die wahren Influencer*innen

Ein Blick auf die durch­schnitt­li­che Enga­ge­ment-Rate von Abge­ord­ne­ten in ganz Euro­pa zeigt, dass sie ihr Publi­kum über Insta­gram, Face­book und Twit­ter ver­gleichs­wei­se viel effek­ti­ver als Mar­ken und sogar „klas­si­sche Influen­cer“, wenn man Social-Media-Bench­marks ver­gleicht. Wie­so? Zum einen fol­gen User*innen Life­style-Accounts eher pas­siv, wäh­rend das Fol­gen eines/r Abge­ord­ne­ten in der Regel zu „akti­vem“ poli­ti­schen Enga­ge­ment führt und dazu, dass Fol­lower ihre Mei­nung zu den Posts äußern. Zum ande­ren haben Politiker*innen schnell ver­stan­den, dass Social-Media-Platt­for­men eine ein­zig­ar­ti­ge Mög­lich­keit dar­stel­len, die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Bürger*innen zu ver­än­dern. Es braucht nicht mehr den „Umweg“ über klas­si­sche Medi­en, um eine Debat­te anzu­re­gen oder um Posi­tio­nen der Wähler*innen in Echt­zeit abzufragen.

Männliche und weibliche Abgeordnete nutzen soziale Medien unterschiedlich

Männ­li­che Abge­ord­ne­te pos­ten im Ver­gleich zu weib­li­chen etwas mehr auf Face­book. Frau­en sind hin­ge­gen auf Twit­ter (und Insta­gram) akti­ver als Män­ner. Die durch­schnitt­li­chen Enga­ge­ment-Raten für weib­li­che Abge­ord­ne­te sind etwas höher als für männ­li­che Abge­ord­ne­te – zumin­dest auf Face­book und Twitter.

Dass weib­li­che Abge­ord­ne­te Twit­ter noch mehr bevor­zu­gen als Män­ner, ist eine Über­ra­schung, wenn man bedenkt, dass Twit­ter gene­rell die am stärks­ten von Män­nern domi­nier­te Platt­form ist.

In den sozia­len Medi­en und ganz beson­ders auf Twit­ter sind Poli­ti­ke­rin­nen zudem Beschimp­fun­gen und Unter­grif­fen deut­lich öfters aus­ge­setzt als ihre männ­li­chen Kol­le­gen. Das liegt zum Teil dar­an, dass weib­li­che Abge­ord­ne­te im Durch­schnitt jün­ger sind (unse­re Ana­ly­se zeigt, dass jün­ge­re Abge­ord­ne­te Twit­ter und Insta­gram bevor­zu­gen) und auch eher dem lin­ken Par­tei­spek­trum ange­hö­ren (ins­be­son­de­re der lin­ken Mit­te, wo Twit­ter ein­deu­tig die bevor­zug­te Platt­form ist).

Und war­um sehen weib­li­che Abge­ord­ne­te höhe­re Enga­ge­ment-Raten für ihre Bei­trä­ge auf Twit­ter und Face­book? Eine Rei­he von Mikro­ana­ly­sen hat gezeigt, dass jene Bei­trä­ge das stärks­te Enga­ge­ment erzeu­gen, die den rich­ti­gen Ton im rich­ti­gen Moment fin­den, kon­struk­tiv sind und nicht ver­su­chen, bil­li­ge poli­ti­sche Punk­te zu machen. Viel­leicht haben Poli­ti­ke­rin­nen hier einen Vor­teil gegen­über ihren männ­li­chen Kollegen.

Das Alter macht den Unterschied

Das Alter wirkt sich auf die Nut­zung sozia­ler Medi­en aus – die meis­ten von uns ken­nen das aus der eige­nen Fami­lie. Über­ra­schend ist, dass die jüngs­ten Abge­ord­ne­ten (die unter 35-Jäh­ri­gen, die etwa 10 % der ana­ly­sier­te Parlamentarier*innen aus­ma­chen) nicht die aktivs­te Grup­pe in den sozia­len Medi­en sind. Sie sind jedoch auf Insta­gram am aktivs­ten und ihre Inhal­te gene­rie­ren die höchs­ten Enga­ge­ment-Raten auf allen drei Platt­for­men. Das deu­tet dar­auf hin, dass es den jüngs­ten Abge­ord­ne­ten eher um Qua­li­tät als um Quan­ti­tät geht: Sie ver­ste­hen es, sozia­le Medi­en gezielt zu nut­zen. Für sie zäh­len Kom­men­ta­re, Likes, Shares und Ret­weets mehr als vie­le eige­ne Postings.

Rechtsorientierte Parteien sind überproportional aktiv

Unse­re Ana­ly­se zeigt, dass Politiker*innen aus dem rech­ten Spek­trum am effek­tivs­ten beim Auf­bau einer Anhän­ger­schaft in den sozia­len Medi­en sind. Die Bot­schaf­ten der Rech­ten sind am gleich­mä­ßigs­ten über alle drei Platt­for­men ver­teilt – ein Hin­weis dar­auf, dass sie am effi­zi­en­tes­ten beim Tei­len von Inhal­ten und am kon­se­quen­tes­ten bei deren Nut­zung sind. Die Abge­ord­ne­ten der rech­ten Par­tei­en haben das höchs­te Enga­ge­ment auf Twit­ter, wel­ches natür­lich auch auf kri­ti­schen Kom­men­ta­ren von Gegner*innen basiert. Alles in allem gewin­nen die Rech­ten im Moment in den sozia­len Medi­en. Und zwar mit gro­ßem Vor­sprung auf Twit­ter und Insta­gram. Sie haben sich hier eine Platt­form für ihre Bot­schaf­ten geschaf­fen, die ihnen frü­her über tra­di­tio­nel­le Medi­en nicht zur Ver­fü­gung stand. Es bleibt abzu­war­ten, ob dies ein dau­er­haf­ter struk­tu­rel­ler Vor­teil für die rechts­ori­en­tier­ten Politiker*innen ist. Sozia­le Medi­en machen es nicht ein­fach, poli­ti­schen Kon­text, Kom­ple­xi­tät und Nuan­cen zu ver­mit­teln. So könn­ten Initia­ti­ven, die Inhal­te auf den Platt­for­men stär­ker mode­rie­ren oder das Bestre­ben ande­rer poli­ti­scher Grup­pen, ihre Bot­schaf­ten in sozia­len Medi­en bes­ser zu kom­mu­ni­zie­ren, dazu füh­ren, dass die­ses Phä­no­men zeit­lich begrenzt ist.

Die Stu­die umfasst die Abge­ord­ne­ten zum Euro­päi­schen Par­la­ment sowie die Parlamentarier*innen aus Bul­ga­ri­en, Deutsch­land, Frank­reich, Grie­chen­land, Ita­li­en, Kroa­ti­en, Öster­reich, Polen, Russ­land, Schwe­den, Ser­bi­en, Slo­wa­kei, Slo­we­ni­en, Spa­ni­en, Tsche­chi­sche Repu­blik, Ungarn sowie dem Ver­ei­nig­ten König­reich. Der Zeit­rah­men der ana­ly­sier­ten Posts war das gesam­te Jahr 2020.

Wie der persönliche Austausch durch digitale Tools profitieren kann

Autorin: Bet­ti­na Resl | 9. Juni 2021

Die Digitalisierung hält in all unseren Lebensbereichen Einzug und die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig ein hoher Digitalisierungsgrad gerade in solchen Situationen ist. Viele Interaktionen, die davor analog stattfanden, wurden in den digitalen Raum verlegt. Davon war auch die Public Affairs nicht gefeit, eine Disziplin, in der persönliche Kontakte und der persönliche Austausch seit jeher wichtige Assets sind. Aber bedeutet die Digitalisierung von Public Affairs zwangsläufig auch das Ende der persönlichen Interaktion und wird die Kommunikation mit Stakeholdern in Zukunft nur mehr digital ablaufen? Klar ist, die Digitalisierung der Public-Affairs-Arbeit bietet viel Potential, um noch zielgerichteter Inhalte zu vermitteln. Bettina Resl, Country Head Public Affairs, Patient Advocacy & Communication bei Sanofi-Aventis Österreich, hat zusammengefasst, welche Möglichkeiten sich bieten und wie sich das Arbeitsfeld sowie die Anforderungen an Public-Affairs-Manager*innen dadurch verändern werden.

1. Wer KI nutzt, hat einen Informationsvorsprung

Fun­dier­te Infor­ma­tio­nen sind die Basis jeder pro­fes­sio­nel­len Public-Affairs-Arbeit. Algo­rith­men, künst­li­che Intel­li­genz (KI) und Machi­ne Lear­ning eröff­nen gren­zen­lo­se Mög­lich­kei­ten bei der Infor­ma­ti­ons­be­schaf­fung: Spe­zi­el­le Moni­to­ring-Soft­wares kön­nen Geset­zes­tex­te, ande­re poli­ti­sche Initia­ti­ven oder Medi­en­be­rich­te in gro­ßem Umfang und auf zahl­rei­chen Kanä­len inner­halb kür­zes­ter Zeit auf rele­van­te Fra­gen und Schlag­wör­ter scree­nen. In wei­te­rer Fol­ge kön­nen Daten gefil­tert, ana­ly­siert und zu rele­van­ten Infor­ma­tio­nen für Stake­hol­der und Entscheidungsträger*innen auf­be­rei­tet wer­den. Die­se Mög­lich­keit stellt in Zei­ten von Big Data und Infor­ma­ti­ons­flut einen unschlag­ba­ren Mehr­wert im Ver­gleich zu den begrenz­ten mensch­li­chen Kapa­zi­tä­ten dar.

Die digi­ta­le Unter­stüt­zung bei der Infor­ma­ti­ons­su­che und ‑auf­be­rei­tung hat noch einen wei­te­ren Vor­teil: Durch die Aus­la­ge­rung die­ses sehr arbeits­in­ten­si­ven Bereichs wird die Public-Affairs-Arbeit ins­ge­samt effi­zi­en­ter. Es bleibt mehr Zeit für die Kern­tä­tig­keit – für den Auf­bau per­sön­li­cher Bezie­hun­gen und die Inter­ak­ti­on mit Stakeholdern.

2. Der richtige Kommunikationsmix ist entscheidend

Laut einer Umfra­ge von Mar­ke­tagent orten hei­mi­sche Marketingentscheider*innen und Kommunikationsexpert*innen das größ­te Poten­zi­al von KI in der auto­ma­ti­sier­ten Daten- und Medi­en­ana­ly­se. In der Kom­mu­ni­ka­ti­on wird die Digi­ta­li­sie­rung zwar eine gro­ße Rol­le spie­len, rund 96 Pro­zent der Befrag­ten hal­ten jedoch auch in Zukunft einen aus­ge­wo­ge­nen Mix aus ana­lo­ger und digi­ta­ler Kom­mu­ni­ka­ti­on für erfolg­ver­spre­chend. Die­se Ein­schät­zung gilt auch für den Public-Affairs-Bereich.

3. Face-to-Face-Interaktion bleibt

Zwar spie­len digi­ta­le Kanä­le in der Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Stake­hol­dern eine bedeu­ten­de Rol­le, eine kom­plet­te Ver­schie­bung des Face-to-Face-Kon­takts in den digi­ta­len Raum wird aber nicht statt­fin­den. Der per­sön­li­che Dia­log schafft Ver­trau­lich­keit und einen Mehr­wert, den ein digi­ta­les Tref­fen nie­mals errei­chen kann. Er ist und bleibt daher ein wesent­li­cher Aspekt von Public Affairs. 

4. Kulturwandel durch Digitalisierung akzeptieren

PA-Ver­ant­wort­li­che müs­sen digi­ta­le Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Arbeits­wei­sen voll in ihre Tätig­keit inte­grie­ren. Dazu brau­chen sie kei­ne IT-Exper­ti­se, aber jeden­falls ein grund­le­gen­des Ver­ständ­nis von Digi­ta­li­sie­rung und dem ihr zugrun­de lie­gen­den Kulturwandel:

  • Die Digi­ta­li­sie­rung trägt den gestie­ge­nen Anfor­de­run­gen der Bevöl­ke­rung an Trans­pa­renz Rechnung.
  • Stake­hol­der ent­wi­ckeln sich zuneh­mend von Informationskonsument*innen zu akti­ven Mitgestalter*innen. Sie sind ver­netzt und wol­len ein­ge­bun­den werden.
  • Der Auf­bau und die Pfle­ge von Com­mu­ni­tys wird wich­ti­ger, um Mul­ti­pli­ka­tor­ef­fek­te zu nut­zen und die eige­nen Anlie­gen voranzutreiben.
  • Auch die Pro­zes­se der poli­ti­schen Wil­lens­bil­dung haben sich – nicht zuletzt auf­grund der Pan­de­mie – verändert.
  • Die Kunst ist, im Kampf um die Auf­merk­sam­keit bei einem Über­an­ge­bot an Infor­ma­tio­nen – Stich­wort Auf­merk­sam­keits­öko­no­mie – die Öffent­lich­keit ein­zu­be­zie­hen und zu mobilisieren.

5. Risiken und Herausforderung nicht aus den Augen verlieren

Nicht zu unter­schät­zen sind die Risi­ken und Her­aus­for­de­run­gen, die die Digi­ta­li­sie­rung im Public-Affairs-Bereich mit sich bringt: Wie wahrt man die Ver­trau­lich­keit und den Daten­schutz? Wie stellt man die Serio­si­tät bezie­hungs­wei­se Zuver­läs­sig­keit von Online­quel­len sicher? Und wie schützt man sich vor Fake News? PA-Ver­ant­wort­li­che brau­chen ent­spre­chen­des Know-how, um mit die­sen Gefah­ren adäquat umge­hen zu können. 

Digital Public Affairs: gekommen, um zu bleiben

Für den Public-Affairs-Bereich bedeu­tet die Digi­ta­li­sie­rung nicht nur eine grund­le­gen­de Ver­än­de­rung der Arbeits­wei­se. Die neu­en digi­ta­len Instru­men­te, die zur Ver­fü­gung ste­hen, sind eine idea­le Ergän­zung zu den tra­di­tio­nel­len Werk­zeu­gen und wer­den dazu bei­tra­gen, die Public-Affairs-Tätig­keit effi­zi­en­ter zu machen. Gera­de in der neu­en und noch effi­zi­en­te­ren Daten­ana­ly­se liegt viel Poten­ti­al für die Arbeit der Public-Affairs-Ver­ant­wort­li­chen in Zukunft. Die rich­ti­ge und pro­fes­sio­nel­le Nut­zung wird ent­schei­dend sein. Aber auch in einer digi­ta­len Welt von mor­gen bleibt der per­sön­li­che Aus­tausch mit Stake­hol­dern und Entscheidungsträger*innen zen­tral – umso mehr dann, wenn die Inter­ak­ti­on im digi­ta­len Raum noch wei­ter zunimmt.

Warum Online auch im Lobbying gekommen ist, um zu bleiben

Autor: Theo Koch | 25. Mai 2021

Die Art und Weise, wie wir mit Stakeholdern kommunizieren, hat sich im Jahr der Pandemie grundlegend verändert. Was bleibt davon? 

Es war Frei­tag, ein Drei­zehn­ter im März 2020, an dem die Public Affairs Ver­ant­wort­li­chen in Öster­reich plötz­lich vor einer Situa­ti­on stan­den, die so nie­mand vor­her­ge­se­hen hat­te. Lock­down, Home­of­fice, ein Ver­bot für so ziem­lich alle Arten von per­sön­li­chen Kon­tak­ten – wie soll­te da die gewohn­te Arbeit erle­digt werden?

Das Inter­net war für die meis­ten die ein­zi­ge Mög­lich­keit, das beruf­li­che Leben wei­ter fort­zu­set­zen. Doch stell­te sich rasch die Fra­ge, wie denn erfolg­rei­che Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Stake­hol­dern funk­tio­nie­ren soll, wenn man sie nicht per­sön­lich tref­fen darf. Schließ­lich besteht gera­de Public Affairs nicht ein­fach im Aus­tausch von inhalt­li­chen Argu­men­ten, viel­mehr neh­men hier auch per­sön­li­che Netz­wer­ke einen wich­ti­gen Platz ein. Bis­her eil­ten des­we­gen Lob­by­is­ten von einem Ter­min und einer Ver­an­stal­tung zur nächs­ten, um ihre Stake­hol­der von ihren Posi­tio­nen und For­de­run­gen zu über­zeu­gen. Wie aber wei­ter­ma­chen, nach­dem dies nicht mehr mög­lich ist? Wo kann man sich jetzt noch mit Ent­schei­dungs­trä­gern for­mell oder infor­mell aus­tau­schen? Wie lernt man neue Ent­schei­der ken­nen oder zeigt sei­nen Stake­hol­dern gegen­über Prä­senz? Den Ele­va­tor Pitch am Buf­fet kann man ja bei Online-Bespre­chun­gen nicht wirk­lich ein­set­zen, dort gibt es auch kei­ne Kaf­fee­pau­sen, in denen man Gesprä­che anbah­nen könn­te. Die­se Fra­gen zei­gen, dass Inter­es­sen­ver­tre­tung auch im Inter­net eine eige­ne Platt­form braucht. 

Stakedate bringt weit mehr als nur Resilienz

Aus die­sem Grund wur­de zum Jah­res­be­ginn sta­ke­da­te gegrün­det – eine Online-Platt­form, auf der Inter­es­sen­ver­bän­de, Think Tanks, poli­ti­sche Par­tei­en, NGOs, Behör­den, zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen und Unter­neh­men ihre Posi­tio­nen und For­de­run­gen in ver­schie­de­nen For­ma­ten zu legis­la­ti­ven Ent­wick­lun­gen auf einer Platt­form prä­sen­tie­ren und dis­ku­tie­ren kön­nen. Fea­tures wie Online-Vor­trä­ge, ein inte­grier­ter Chat und eine Kom­men­tar­funk­ti­on ermög­li­chen einen regen Dis­kurs auf glei­cher Augen­hö­he. In Netz­werk-Ses­si­ons kön­nen User regel­mä­ßig neue Stake­hol­der ken­nen­ler­nen und somit ihr per­sön­li­ches Netz­werk stän­dig erwei­tern, auch durch den Aus­tausch von Visi­ten­kar­ten. Zusätz­lich kön­nen Stand­punk­te und Stel­lung­nah­men im Posi­ti­ons­feed mit ande­ren Stake­hol­dern geteilt wer­den. Die­se Ange­bo­te wer­den auch stets genutzt: Sta­ke­da­te star­te­te Mit­te Janu­ar mit dem Poli­tik­be­reich Umwelt. Allein in den ers­ten 100 Tagen regis­trier­ten sich knapp 250 Stake­hol­der aus nam­haf­ten Unter­neh­men, Minis­te­ri­en, NGOs, sozi­al­part­ner­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen und allen Natio­nal­rats­klubs auf der Plattform. 

Bereits kurz nach dem Launch von sta­ke­da­te zeig­te sich, dass Stake­hol­der-Kom­mu­ni­ka­ti­on im Inter­net weit mehr Chan­cen bringt als nur die Fort­set­zung des Tages­ge­schäfts in der Krise:

Level-Playing Field

Unab­hän­gig von Res­sour­cen und ört­li­cher Bin­dung kön­nen sich nun alle Stake­hol­der zu einem gemein­sa­men The­ma online infor­mie­ren. Die Art des Aus­tauschs ist aller­dings ein ande­rer. Per­sön­li­che Kon­tak­te tre­ten auf Online-Platt­for­men stär­ker in den Hin­ter­grund, wäh­rend die inhalt­li­che Argu­men­ta­ti­on an Bedeu­tung gewinnt. Eine eige­ne Lob­by­ing-Platt­form hält das klas­si­sche Netz­werk auch im Inter­net am Leben.

Transparenz 

Legis­la­ti­ve Ent­schei­dungs­fin­dun­gen wer­den häu­fig für ihre Undurch­sich­tig­keit kri­ti­siert. Eine Online-Platt­form, auf der alle inter­es­sier­ten Stake­hol­der mit­ein­an­der ihre Posi­tio­nen tei­len, führt zwangs­läu­fig zu mehr Klar­heit. Inter­es­sen­la­gen wer­den nach­voll­zieh­bar. Man lernt ein­an­der bes­ser ken­nen und ver­steht die Stand­punk­te. Damit wer­den gemein­sa­me Lösun­gen erleichtert.

Pluralisierung 

Wenn Poli­tik der Ort des Inter­es­sen­aus­gleichs ist, muss dem ein Inter­es­sen­aus­tausch vor­an­ge­hen. Eine Lösung im Inter­es­se aller Stake­hol­der ist dem­nach nur mög­lich, wenn mög­lichst vie­le in den Gesetz­ge­bungs­pro­zess ein­ge­bun­den wer­den. Mit einer eige­nen Online-Platt­form für Stake­hol­der wird dies nun auch im Inter­net in struk­tu­rier­ter Form mög­lich. Betrof­fe­ne wer­den zu Beteiligten. 

Abschlie­ßend wage ich eine opti­mis­ti­sche Ana­ly­se: Die Covid-Pan­de­mie hat uns gelehrt, dass vie­les auch digi­tal mög­lich ist. Obwohl die Kri­se hof­fent­lich bald vor­bei ist, wird vie­les von dem, was sie her­vor­ge­bracht hat, blei­ben. Das gilt eben­falls für Public Affairs. Und das ist durch­aus zu begrü­ßen, denn Inter­es­sen­ver­tre­tung funk­tio­niert online so, wie wir es uns immer alle gewünscht haben: Als trans­pa­ren­ter Wett­be­werb um die bes­ten Ideen mit mög­lichst vie­len invol­vier­ten Teil­neh­mern. Als Ergän­zung zur hof­fent­lich bald wie­der mög­li­chen per­sön­li­chen Begegnung.

Theo Koch ist Public Affairs Mana­ger und Mit­grün­der der Stake­hol­der-Platt­form stakedate.

“Die Honeymoon-Phase ist vorbei” – Politik und Tech im Wandel

Autorin: Chris­ti­na Trapl | 14. April 2021

Mit hipper Schiebermütze, legerer Kleidung und Airpods im Ohr nimmt Ansgar Baums vor seinem Bildschirm Platz. Hinter ihm platzt das Bücherregal aus allen Nähten. Ein freundliches “Hallo zusammen” und es geht los. Wer bei Ansgar Baums nach einem klassischen Rollenbild eines Lobbyisten und Politikberaters sucht, ist fehl am Platz. Der Berliner ist unkonventionell und schwimmt gerne gegen den Strom. In Deutschland zählt Ansgar Baums mittlerweile zu den führenden Politik-Experten für China sowie den Digitalisierungs-Bereich. Aktuell leitet Baums die politische Kommunikation des Video-Giganten Zoom. Im virtuellen Talk mit dem Digital Public Affairs-Arbeitskreis des ÖPAV stellt er sein neuestes Corona-Projekt vor, den GR Blog und beschreibt die kriselnde Beziehung zwischen Politik und Techszene.

Digitalwirtschaft – vom Heilsbringer zum politischen Sorgenkind

Ans­gar Baums ist Digi­tal-Lob­by­ist der ers­ten Stun­de. Von SAP über BITKOM, den Bran­chen­ver­band der deut­schen Infor­ma­ti­ons- und Tele­kom-Bran­che bis hin zum Tech­no­lo­gie­kon­zern HP und neu­er­dings auch Zoom – die Band­brei­te sei­ner Arbeit­ge­ber aus der Tech-Bran­che ist beein­dru­ckend. Dabei hat sich laut Ans­gar Baums das Ver­hält­nis zwi­schen Tech und Poli­tik in den letz­ten Jah­ren fun­da­men­tal gewan­delt. Seit den 90ern galt die IT-Bran­che als eine Art Heils­brin­ger zur Lösung aller mög­li­chen gesell­schaft­li­chen Pro­ble­me („man fügt ein­fach das Wort „smart“ hin­zu und geht davon aus, dass sich poli­ti­sche Kon­flik­te „weg-codie­ren“ las­sen“). Kein Wun­der, dass die poli­ti­sche Unter­stüt­zung zunächst groß war – und regu­la­to­ri­sche Frei­räu­me wie das Platt­form-Haf­tungs­pri­vi­leg entstanden.

Die Stimmung kippt

“Die Bezie­hung von IT und Poli­tik wird zuneh­mend schwie­ri­ger”, so Ans­gar Baums. Die anfäng­li­che Eupho­rie der Poli­tik um die digi­ta­le Bran­che schwin­det. “Der ‚Honey­moon’ zwi­schen Poli­tik und Tech ist vor­bei”, erklärt der stu­dier­te Poli­tik- und Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler, „denn die Digi­ta­li­sie­rung hat aus Sicht der Poli­tik gesell­schaft­lich zu viel zu schnell ver­än­dert.“ Skep­sis und Sor­ge im Hin­blick auf uner­wünsch­te Neben­wir­kun­gen der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on mach­ten sich zuneh­mend breit. In die­sem Sin­ne erle­ben poli­ti­sche Ent­schei­der gera­de zu viel Dis­rup­ti­on, wäh­rend die IT-Bran­che über „zu wenig, zu lang­sam“ klagt. Die gespal­te­ne Hal­tung der Poli­tik gegen­über der Digi­ta­li­sie­rung wird in den kom­men­den Jah­ren wei­ter anhal­ten und die Arbeit der Govern­ment Rela­ti­ons prä­gen”, sagt Baums.

Dar­über hin­aus sei­en die Digi­ta­li­sie­rung und die IT-Wirt­schaft mitt­ler­wei­le zu wich­tig gewor­den, um von geo­po­li­ti­scher Ein­fluss­nah­me ver­schont zu blei­ben. Der Han­dels­kon­flikt zwi­schen Chi­na und den USA sei nur der Beginn einer „Infu­si­on“ von Geo­po­li­tik in die Digi­tal­wirt­schaft. Mit­tel­fris­tig müs­se man davon aus­ge­hen, dass die IT der Geo­po­li­tik fol­gen wird und „bipo­lar“ struk­tu­riert sei: Einer west­li­chen IT-Land­schaft stün­de dann ein inkom­pa­ti­bles chi­ne­si­sches IT-Sys­tem gegen­über, das auf eige­nen Chip-Archi­tek­tu­ren beru­hen wer­de. „Aus IT-Her­stel­ler-Sicht ist Geo­po­li­tik vor allem eine Fra­ge zukünf­ti­ger Markt­ein­tritts­bar­rie­ren: Wo kann ich über­haupt noch verkaufen?“

Das Ziel von GR: Geopolitische Komplexität verarbeiten

Um die­se kom­ple­xen Zusam­men­hän­ge zu ver­ste­hen, legt der ehe­ma­li­ge Ana­lyst des deut­schen Geheim­diens­tes Ans­gar Baums gro­ßen Wert auf pro­fun­de Ana­ly­se-Fähig­kei­ten in GR-Teams. “Govern­ment Rela­ti­ons-Teams müs­sen kom­ple­xe glo­ba­le Ver­än­de­rungs­pro­zes­se in Ent­schei­dungs­si­tua­tio­nen für das Unter­neh­men über­set­zen. Im bes­ten Fall beant­wor­ten GR-Teams die Fra­ge des CEOs „Was hat die­se gan­ze (Geo-)politik mit mir zu tun?“ stich­hal­tig. Dabei muss die Ana­ly­se glo­bal ange­legt sein”, erklärt der Ber­li­ner. „Natio­na­le Geset­ze sind wich­tig – aber die ste­hen halt in einem glo­ba­len Kon­text geo­po­li­ti­scher Ver­än­de­run­gen. Nur wenn ich bei­des ver­ste­he, kann ich hand­lungs­an­lei­ten­de Emp­feh­lun­gen für ein Unter­neh­men formulieren.“

Ein Gedankenexperiment – der GR Blog

Den jüngs­ten Gedan­ken zur Wei­ter­ent­wick­lung von GR fass­te Ans­gar Baums inmit­ten der Coro­na-Pan­de­mie. In ver­schie­de­nen Blog-Bei­trä­gen setzt er sich der struk­tu­rel­len Ver­an­ke­rung von GR in Unter­neh­men aus­ein­an­der. “GR ist kei­ne Kunst, son­dern ein Hand­werk, das man stän­dig ver­bes­sern kann. Dabei geht es um ganz ele­men­ta­re Fra­gen wie: Wie struk­tu­riert man ein Team? Wie kann ich stra­te­gisch han­deln – das heißt: Res­sour­cen bün­deln und auch mal „nein“ sagen?”, erklärt der Poli­tik­ex­per­te. Das Pro­blem vie­ler Orga­ni­sa­tio­nen sei, dass sie Orga­ni­gram­me mit einer Bedarfs­ana­ly­se verwechselten.

Die nächste Evolutionsstufe von GR

Laut Baums sei es des­we­gen ent­schei­dend, GR als stra­te­gi­sche Funk­ti­on eines Unter­neh­mens zu betrach­ten und dem ent­spre­chend im Kern anzu­sie­deln. Ans­gar Baums sieht den künf­ti­gen Platz der GR des­halb bei der Unter­neh­mens­stra­te­gie und spricht sogar von einem „Mer­ger zwi­schen GR und Strategy“.